Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Jesuitengesetz 
  
man auch das Lesen stiller Messen sowie das Spenden der 
Sterbesakramente gestattet, soweit nicht landesgesetzliche 
Vorschriften entgegenstanden. Auch sog. Konferenzvorträge 
religiösen und sozialen Inhalts sind unter gewissen Voraus- 
setzungen tatsächlich zugelassen oder geduldet worden, sofern 
sie in profanen Räumen stattfanden.“ 
Mit der bisherigen Praxis hat nun aber ein ver- 
traulicher Erlaß der beiden bayerischen Min Inn an 
die Kreis Reg v. 11. 3. 12 in bewußter Weise ge- 
brochen, nachdem die Regierungen der größeren 
Bundesstaaten bereits am 22./23. 1. 12 durch 
eine Note darüber verständigt worden waren, 
daß die bayerische Staats Reg eine neue Inter- 
pretation der BRBek vorhabe. 
Aus Anlaß mehrerer in letzter Zeit eingereichter Bor- 
stellungen prüft der März--Erlaß die Frage, ob die bisherige 
Praxis, wonach nur das Lesen einer stillen Messe und die 
Abhaltung von wissenschaftlichen oder religiösen Vorträgen 
außerhalb kirchlicher Räume als erlaubt angesehen werde, 
die einzig mögliche Auslegung wiedergebe. „Das Wort 
° Ordenstätigkeite stellt nicht einen ohne weiteres feststehen- 
den, bestimmt umgrenzten Begriff dar. Indem der Bun- 
desrat bei der Erlassung der Vollzugsvorschriften diesen 
Begriff wählte, überließ er es der Gesetzeshandhabung, 
dem Kreise der den J. verbotenen Wirksamkeit die 
näheren Grenzen zu ziehen. Bei der sohin den Einzelstaaten 
(vgl. Ziff. 3 der Reichskanzler Bek v. ö. 7. 72) eingeräumten 
Bewegungsfreiheit für den Gesetzesvollzug wird den jeweili- 
gen Zeitverhältnissen ein angemessener Einfluß auf die 
strengere oder mildere Handhabung des Gesetzes nicht zu 
versagen sein.“ Es sei nur eine Folgerung der Aufhebung 
des 1 2 des JG„, wenn auch bei Handhabung des 1 1 
künftig nicht weiter gegangen werde, als es zum Vollzug 
der reichsrechtlichen Anordnungen unbedingt geboten 
erscheine. 
„Die genauere Umgrenzung des Begriffs = Crdens- 
tätigkeite wird in der Weise zu erfolgen haben, daß Hand- 
lungen, die als rein priesterliche, von dem eigentlichen Auf- 
gabenkomplexe des Ordens losgelöste Funktionen sich dar- 
stellen und bei denen die Ordensangehörigen zum Zwecke 
vorübergehender Aushilfe in der Seel- 
sorge einer von der Ordensleitung unabhängigen Auf- 
sichtsgewalt unterstehen, als außerhalb des Gebiets der 
Ordenstätigkeit liegend angesehen werden.“ Wesentlich 
verschieden von den Missionen, welche im Hinblick auf das 
ausdrückliche Verbot der den J. untersagten Tätigkeit 
zugerechnet werden müssen, seien „die Konferenzen, die 
hauptsächlich Vorträge apologetischen oder sozialen In- 
haltes zum Gegenstande haben“. „Solche in profanen 
Räumen schon bisher unbedenklich zugelassenen Konferenz- 
vorträge werden in den vom Verbote getroffenen Wirkungs- 
kreis auch dann nicht einzuziehen sein, wenn sie in kirch- 
lichen Räumen abgehalten werden und wenn mit ihnen Ge- 
legenheit zum Empfange der Sakramente verbunden wird.“ 
Im Reichstag fand am 26. 4. 12 (StBer 
2, 2) und in der bayer. K. d. Abg. am 1. ö. 12 
(Vhdl 1434) eine Interpellation über den bayeri- 
schen JErl statt. 
Der Reichskanzler teilte bei dieser Gelegenheit im Reichs- 
tag mit, daß er an die bayerische Regierung das amtliche 
Ersuchen gerichtet habe, daß ihm der Wortlaut des bayeri- 
schen Erlasses mitgetreilt werde. Die bayerische Regierung 
habe sofost entsprochen und unmittelbar danach bei dem 
Bundeorat eine authentische Interpretation des Begriffs 
der verbotenen Crdenstätigkeit beantragt. Dafür, daß 
es bis zur Entscheidung des Vundesrates auch in Bavern 
in bezug auf die Anwendung des Gesetzes bei der bisherigen, 
im ganzen Rr.ich gleichmaßig befolgten Praxis bleibt, habe 
die bayerische Regierung Vorsorge getrofsen. 
  
Beidiesem Anlaß sei die rein formale Frage auf- 
eworfen: Empfiehlt sich, falls der B nicht über- 
aupt der Auslegung die zuschstu vorzieht, in 
Wirklichkeit nur eine authentische Interpretation 
des Begriffes der Ordenstätigkeit, oder wird nicht 
besser ohne Anknüpfung an den gesetzgeberisch 
schwer verwendbaren Begrifft!) der Ordenstätig- 
keit eine vollkommen neue Vollzugsverordnung 
erlassen, welche die einzelnen verbotenen Tätig- 
keiten erschöpfend aufzählt? Bayern hätte keinen 
Grund, einer solchen Programm-Aenderung zu 
widersprechen. Eine Auslegung ist nur: ent- 
weder richtig oder falsch. Auch eine authentische 
Auslegung müßte wenigstens im vorliegenden 
Fall auf die gesetzgeberische Freiheit Verzicht 
leisten: denn der B 
des bayerischen Antrags eine Art von richterlicher 
Nebenfunktion erhalten. Eine Anordnung 
hat nach der Vorgeschichte 
aber kann milder und strenger sein. Auf dem Weg 
der Auslegung kann man zu dem Ergebnis ge- 
langen, daß sogar die Konferenzen außerhalb der 
Kirche für den J. eine verbotene Ordenstätigkeit 
darstellen. Auf dem Weg der Anordnung aber 
können umgekehrt sogar Konferenzen in der Kirche 
erlaubt werden. Für Milderungen, die gegen- 
über einem Ausnahmegesetz zumal nach Aufhe- 
bung seines grundlegenden Artikels angezeigt sein 
können, wird der BR direkt am #& 3 des J. an- 
zuknüpfen haben. Daß aber für die dort vorge- 
sehenen Vollzugs-„Anordnungen" in der Tat 
Bewegungsfreiheit besteht, die nur nicht zu einer 
Verletzung des 8 1 führen darf, ist auch in dem vom 
Reichskanzler (Sten Ber 1912 S 1439) ange- 
zogenen B Protokoll zur Bek v. 1872 klar zum 
Ausdruck gekommen, indem es dort heißt: 
„Der erfolgte Beschluß wurde mit dem selbst- 
verständlichen Vorbehalt gefaßt, daß ergän- 
zende und abändernde Anordnun- 
gen getroffen werden, wenn im Laufe der 
Zeit auf Grund der bei der Ausführung des 
Gesetzes gemachten Erfahrungen sich die Not- 
wendigkeit des Erlasses weiterer Bestimmungen 
herausstellen sollte.“ 
Solche „abändernde Anordnungen“" können eine 
Verschärfung, aber natürlich auch eine 
Milderung der bisherigen Praxis 
zum Inhalt haben, wie es eben die Zeitverhält- 
nisse erfordern. 
#s 4. Der örtliche Geltungsbereich. Das IG. 
verfügte den Ausschluß der J. und verwandten 
Orden „vom Gebiete des Deutschen Reichs“. Die 
räumliche Geltung, die sich darnach nur auf die 
25 Bundesstaaten erstreckte, wurde sodann durch 
Gv. 8. 7. 72 auch auf Elsaß-Lothringen, dagegen 
nicht auch auf Helgoland und die Schutzge- 
biete ausgedehnt (Giese 23). Was insbeson- 
dere die letzteren betrifft, so hat auf wiederholte 
Anfrage im Jahre 1899 (StBer RTL 1898/1900 
3 S 2698, 2713) der Staatssekretär v. Bülow 
festgestellt (S 2714), daß das JG. in den deutschen 
Schutzgebieten nicht gilt, weil seine Vor- 
schriften nicht dem Rechtsgebiet angehören, hin- 
sichtlich dessen für die Schutzgebiete durch § 3 des 
  
  
1) Vgl. den Staatsminister Dr. v. Knilling (in den Vhdl 
der bayer. K. d. Abg. 1912 2, 25), nach dessen Mitteilung 
Minister v. Lutz 1872 an den bayr. BRBevollmächtigten 
in Berlin telegraphiert hat: „Was ist Crdenstätigkeit?: 
Ein mir unverständlicher Begriff“.
	        
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