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Justizbeamte (Gerichtsvollzieher; Kanzlei)
RBl 300), auch eine Gerichtsvollzieherordnung und
Dienstanweisung ist am 22. 7. 11 ergangen (ABl
d. JMin S 261, 281); die Gerichtsvollzieher sind
vom 1. Oktober 1911 ab Staatsbeamte, während
sie früher Gemeindebeamte waren. Ihr Gehalt
beträgt nach der neuen Gehaltsordnung (oben S476
a. E.) 1800 bis 2500 Mk.; Auslagen und Gebüh-
renanteile ähnlich wie in Preußen. Der bisher
getrennte Zustellungs- und Vollstreckungsdienst ist
nun vereinigt. In Sachsen fließen die Ge-
bühren der Gerichtsvollzieher sogar ohne Abzug
zur Staatskasse. Sachsen rechnet die Gerichtsvoll-
zieher zu den „Dienern“ und gewährt 2100 bis
3300 Mk., an Gerichtsvollziehergehilfen und „Zu-
stellungsbeamte“ 1800 bis 2400 Mk., dazu noch
Wohnungsgeldzuschuß. » »
In Baden sind neue Dienstvorschriften für die
Gerichtsvollzieher am 1. 11. 10 in Kraft getreten:
eine Gerichtsvollzieherordnung (ursprünglich lan-
desherrliche V v. 16. 11. 99, geändert zuletzt am
7. 3. 10), eine Dienstanweisung (urspr. 31. 1. 00),
eine Zustellungsverordnung (v. 8. 3. 10). Vor-
bildung und Prüfung wie in Preußen. Der Ge-
richtsvollzieher erhält aber noch die Gebühren und
Auslagen und daher kein festes Gehalt, sondern
nur Schadloshaltung, wenn das reine Gebühren-
einkommen hinter dem für ihn aufgestellten „Ein-
kommensanschlag erheblich zurückbleibt.
In Braunschweig gilt die Gerichtsvoll-
zieher O in der Fassung v. 7. 12. 99. Die örtliche
Zuständigkeit umfaßt hier den Landgerichtsbe-
zirk, es werden aber für die amtlichen Aufträge
und die vom Gerichtsschreiber vermittelten Par-
teiaufträge engere Grenzbezirke gebildet. Das
feste Gehalt beträgt 650 bis 2700 Mk., dem noch
Wohnungsgeldzuschuß, Meilengelder, Kleidergeld
und Abschriftvergütung hinzutreten. Von dem
zur Staatskasse abgelieferten Gebührenbetrage
werden dem Gerichtsvollzieher, wenn er bis zu
3000 Mk. beträgt, 2000, vom Mehrbetrage 100
zurückvergütet.
In Mecklenburg sind die Gerichtsvollzieher-
stellen den Militäranwärtern nur zur abwechseln-
den Besetzung vorbehalten, von der Gebühren-
einnahme fließt nichts zur Staatskasse: Gerichts-
vollzieher O und GeschAnw v. 4. 10. 99 (beide zu-
letzt geändert am 15. 11. 10). Von den Hanse-
städten hat nur Bremen den Gebührenbe-
zug der Gerichtsvollzieher beibehalten, während
Hamburg und Lübeck Gerichtsvollzieherämter
mit einem Sekretär als Vorsteher und festbesol-
deten Gerichtsvollziehern besitzen. Auch Elsaß-
Lothringen hat es bei dem Gebührenbezug
der Gerichtsvollzieher belassen.
II. Die Stellung des Gerichtsvollziehers zu
seinem Auftraggeber faßt das Reichsgericht be-
kanntlich als „Auftrag" auf (R 16, 396; 56,
84). Diese Ansicht ist viel bekämpft worden, vgl.
auch Vierhaus Z3 3P 33, 432, und wird der Stel-
lung des Gerichtsvollziehers als eines selbständigen
Rechtspflegeorgans nicht gerecht. Was die ZPO
als „Auftrag“ bezeichnet, ist weiter nichts als ein
Vollstreckungs antrag. Seitdem in den meisten
Staaten der Gläubiger nicht mehr den Gerichts-
vollzieher auszuwählen hat und die gesetzlichen
Gebühren zur Staatskasse fließen, kann von einem
privatrechtlichen Auftrags= oder genauer Dienst-
verhältnisse erst recht nicht mehr gesprochen wer-
den. Wegen eines Amtsverschens des Ge-
richtsvollziehers haftet an dessen Stelle — vorbe-
haltlich des späteren Rückgriffs — nur der Staat
(Pr. Gv. 1. 8. 09; Salman IW 11, 78). Nach
der Auftragstheorie würde dagegen der Auftrag-
geber stets auch die Vertragsklage gegen den Ge-
richtsvollzieher haben (Pasch IW 12, 657).
#s 3. Kanzleikräfte. Die Beschaffung des
Schreibwerkes und die Sorge für die dazu erfor-
derlichen Schreibkräfte hat der Justizverwaltung
von jeher erhebliche Schwierigkeiten bereitet.
Die eigentlichen (festbesoldeten) Kanzleibeamten
sind nur in geringerer Zahl vorhanden. Die
Hauptmasse der Arbeit wird durch Lohnschreiber
(Kanzleigehilfen) besorgt, die aber auch im Be-
amtenverhältnisse stehen, und bei länger dauern-
der Beschäftigung eine den Beamtengehältern
nachgebildete Regelung ihrer Bezüge erlangen.
In Preußen hatte man versucht, den Gerichts-
schreibern das Schreibwerk gleichsam in Regie zu
geben, damit sie es durch von ihnen angenommene
private Gehilfen besorgen ließen (5§ 8 G über die
Dienstverhältnisse der Gerichtsschreiber v. 3. 3.
79). Von dieser heute noch geltenden Vorschrift
wird aber seit 1885 kein Gebrauch mehr gemacht.
In Preußen gilt jetzt die Kanzlei O v. 27. 3. 07
(mit mehrfachen Aenderungen, zuletzt v. 29. 3. 11
und 25. 3. 12). Die Stellen der Kanzleibeamten
und Kanzleigehilfen sind ausschließlich den Mili-
täranwärtern vorbehalten. Kanzlisten werden auf
Lebenszeit gegen festes Gehalt (1650 bis 2700, bei
den OLG bis 3000 Mk.), Kanzleidiätare gegen
Tagegelder auf Kündigung angestellt. Beide ha-
ben eine bestimmte Tagesaufgabe zu liefern und
erhalten für überschießende Seiten je 8 Pfg. Die
Kanzleigehilfen werden vom Vorstande der Behörde
nach Bedarf auf monatliche Kündigung angenom-
men. Sie werden als Staatsbeamte vereidigt und
erhalten Schreiblöhne, die nach Servisklassen
verschieden sind und mit dem „Schreiblohndienst-
alter“ ansteigen, im Höchstfalle bis zu 20 Pfg.
Nach 5 Jahren kann ein Mindesteinkommen be-
willigt werden, nach 10jähriger Tätigkeit unwider-
rufliche Anstellung erfolgen, die ein Recht auf
Pension und Hinterbliebenenversorgung gewährt.
Außerdem gibt es Hilfsschreiber, die nicht Beamte
sind, nur durch Handgelöbnis zur Amtsverschwie-
genheit verpflichtet werden und mit einwöchiger
Kündigung entlassen werden können.
Bayern hatte bis 1887 ebenfalls das System
der Privatgehilfen, die der Gerichtsschreiber an-
nahm, bezahlte und entließ. Jetzt sind die Schrei-
ber — die den Titel Gerichtsschreibergehilfen, Se-
kretariatsgehilfen führen — Staatsbeamte mit
einem Gehalte von 660 bis 1110 Mk. und können
zu den besser bezahlten Kanzleiexpeditoren auf-
rücken. Vergütung nach der Seitenzahl ist in
Bayern unbekannt, auch Hilfsschreiber werden
nur gegen feste Bezüge eingestellt. Ebenso hat
Sachsen ein festbesoldetes Kanzlei= und Expe-
ditionspersonal (B v. 21. 4. 93, GVBl 117).
Württember ng unterschied bisher Oberkanz-
listen, Kanzlisten und Hilfsschreiber. Durch die
Neuordnung des Gehaltswesens von 1911 sind die
Unterschiede zwischen Oberkanzlisten und Kanzlisten
beseitigt worden. Die Kanzlisten beziechen 1800
bis 2500 Mk., bei Ministerien und Kollegialbehörden
1800 bis 2700 Mk. In Baden sind staatliche
„Schreibbeamte“ nicht nur bei den Gerichten,
sondern auch bei den Notariaten vorhanden.