40 Gemeinde (I. Allgemeines)
dem Vorsitz des Oberamtmannes aus Abgeord-
neten der Gem gebildet (G v. 28. 7. 06). In
Baden besitzen die Gem bei den Wahlen zur
Kreisversammlung gewisse Vorrechte, hier sind
die Gem ebenso wie in Hessen die Träger der
Kreissteuerpflicht (bad. G v. 5. 10. 63, HG 18.
3. 70). Ebenso kommen in Elsaß-Loth-
ringen den größeren Gem gewisse Befugnisse
auf dem Gebiet der Bezirks= und Kreistätigkeit zu.
Für das Preuß. Herrenhaus besitzen auf Grund
Kal Verleihung eine erhebl. Zahl von Städten
das Präsentationsrecht. In der Stachsischen
I. Kammer sitzen 8 Städtevertreter. In Württem-
berg sind die größeren Städte bei der Bildung der
II. Kammer besonders berücksichtigt (12 Mitglie-
der). In Baden zählen die Städte in der I. Kam-
mer 3 Vertreter, auch sind die größeren Städte
bei der Wahlkreiseinteilung noch etwas bevorzugt;
ein analoger Vorzug besteht in Hessen für 8
Städte. In Elsaß-Lothringen wählten die 4 größ-
ten Städte je 1 Vertreter zum Landes-Ausschuß.
Die Gem in den Schutzgebieten haben
eine eigene Entwicklung genommen, die hier
nicht verfolgt wird. Darüber # Selbstverwaltung
in den Kolonien.
#5#2. Geschichtliche Entwickelung des geltenden
Rechtes (Gesetzgebung). Der den Gem heute
innewohnende rechtliche Charakter fand seine
Ausprägung in der Zeit der Begründung und
Ausbildung des modernen Staates. Die in frühe-
rer Zeit vorhandenen und besonders in den Städ-
ten zu einer reichen Ausgestaltung des kommuna-
len Wesens gelangten Formen der Gem sind alle
in dem erstarkenden Staate aufgegangen und
haben von ihm, der die gesamte Herrschergewalt
im Staatsgebiete an sich gezogen, eine neue Ge-
staltung empfangen, die mit den älteren Formen
rechtlich in keinem Zusammenhang steht.
Die Anfänge dieses Niedergangs der Gem fallen,
was die Städte betrifft, die sich zu mächtigen
Kulturträgern entwickelt hatten und für den spä-
teren modernen Staat vorbildlich geworden wa-
ren, in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts,
nachdem die Versuche der Städtebünde, der er-
starkenden Landeshoheit der Fürsten als Träger
eines volkstümlich organisierten Staatswesens
entgegenzutreten, endgültig gescheitert, nachdem
die Stellung der Fürsten durch die Reformation
eine erneute Befestigung erfahren und nachdem
endlich die Gestaltung des Wirtschaftslebens in
Deutschland sich wesentlich verändert hatte. Die
Gem auf dem platten Lande, die lange Zeit der
Hauptsache nach noch in den privatwirtschaftlichen
Fesseln einer früheren Zeit stecken geblieben,
hatten ihre Freiheit, soweit sie dieselbe nicht schon
vorher eingebüßt hatten, im größten Teile Deutsch-
lands durch die Einwirkungen des Bauernkrieges
vollständig verloren. Sie waren in der Regel der
Herrschaft eines Grundherrn unterworfen. In
vermögensrechtlicher Beziehung waren alle Gem
in die Stellung der Minderjährigen hinabgedrückt.
Die Entartung, die sich besonders nach dem
dreißigjährigen Kriege innerhalb der städtischen.
Verwaltungen geltend machte, hatte in den grö-
ßeren deutschen Territorien die Landesherren zu
entschiedenem unmittelbarem Eingreifen in die
Tätigkeit der Gem Organe, vor allem auf dem Ge-
biete der Vermögensverwaltung, veranlaßt, das
sich in einigen süddeutschen Territorien während
der Mitte des 18. Jahrhunderts in der Form der
Erlassung eigener Gem Gesetze äußerte, welche die
bestehende Vevormundung der Gem in privat-
rechtlicher wie öffentlichrechtlicher Hinsicht noch-
mals ausdrücklich festlegten; vgl. die bayrische
Stadt- und Markt Instr von 1748, die württemb.
Kommunal O von 1758 und die im Jahre 1760
erlassene KommunalO für Baden und Durlach.
In Preußen wurde an dem tatsächlich geltenden
Zustand bei dem Erlaß des Allgem. Landrechtes
nichts geändert. Die über den Bürgerstand und
die Stadt Gem handelnden Bestimmungen, die
wie das ganze Gesetzgebungswerk nur subsidiäre
Bedeutung hatten, begnügten sich mit einer Wie-
dergabe des vorherrschenden Rechtszustandes.
Ihren Abschluß fand die rückläufige Bewegung in
den Rheinbundstaaten unter dem Einfluß der
französischen Fremdherrschaft in den beiden ersten
Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts, ob-
wohl um diese Zeit, im Jahre 1808, der deutsche
Norden bereits den Anfang zur Neubegründung
einer wahren kommunalen Selbstverwaltung er-
leben durfte. Die bayrischen Edikte von 1806 und
1808, das bad. Organisationsreskript v. 26. 11.
1809 erniedrigten die Gem, indem sie zugleich
auch den Unterschied zwischen den einzelnen Arten
derselben verwischten, zu reinen Staatsverwal-
tungsbezirken, denen die eigene Rechtspersönlich-
keit nur belassen wurde, um für die Bestreitung
der Kosten der Lokalverwaltung einen zahlungs-
fähigen bequemen Schuldner zu erhalten. Die
letzten Ausläufer dieser nivellierenden und der
Selbstverwaltung abholden Gesetzgebung bildeten
die Gem Gesetze von Nassau und des Großherzog-
tums Hessen aus den Jahren 1819 und 1821.
Der bedeutungsvolle Umschwung, den das
Werk des Freiherrn v. Stein im Jahre 1808 in
Preußen hervorrief, das den Gem Selbständig-
keit verlieh und die Bürger zur tätigen Mitarbeit
im Gem Leben erzog, beschränkte sich nur auf die
Städte; auf dem Lande blieben in Preußen die
überkommenen Grundherrschaftsverhältnisse vor-
erst noch bestehen. Eine Ausdehnung der neuen
Ordnung auf die im Jahre 1814 hinzugekommenen
Landesteile erfolgte zunächst nicht. Von den
neuen Landesteilen erhielten erst im Jahre 1831
die Provinz Sacksen und die größeren Städte
Posens und Westfalens durch die damals unterm
17. März eingeführte sogen. revidierte Städte-
ordnung, die in mancher Beziehung, so besonders
auf dem Gebiete der Finanzverwaltung, die Auto-
nomie der Städte wieder etwas einschränkte, eine
einheitliche Organisation. Für die Provinz West-
falen wurde außerdem unterm 30. 10. 41 eine
Landgemeindeordnung erlassen. Den besondern
aus dem französischen Rechte überkommenen Zu-
ständen, die eine mehr bureaukratische Verwal-
tung zeigten, wurde in der unterm 23. 7. 45
ergangenen für alle Gem geltenden gemeinsamen
Gem Ordnung für die Rheinprovinz Rechnung
getragen. Den Städten der alten Provinzen war
die Annahme der revidierten Städteordnung frei-
gestellt worden, von dieser Befugnis wurde jedoch
sogut wie gar kein Gebrauch gemacht. Der Ver-
such zu einer weitgehenden Vereinheitlichung der
gemeinderechtlichen Vorschriften wurde durch die
unterm 11. 3. 50 erlassene, unter dem Eindruck
der Bewegung der damaligen Zeit stehende
Gem Ordnung unternommen, welche auch die