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Kirche (Kirchenzucht)
1. Strafen (poenae vindicativae), sofern
sie in erster Linie eine Sühne des gebrochenen
Rechts bezwecken. Vergeltungsstrafen werden im-
mer absolute verhängt, d. h. in certum tempus
oder in perpetuum. Deshalb bleiben sie auch nach
eingetretener Besserung in Kraft.
2. Eigentliche Zuchtmittel (cen-
surae oder poenae medicinales), sofern es sich
in erster Linie um Besserung des Schuldigen
handelt. Zensuren hören deshalb nach erfolgter
uße wieder auf (Heilmittel). Werden sie aus-
nahmsweise auf bestimmte Zeit, ohne Rücksicht auf
inzwischen eingetretene Besserung, verhängt, so er-
halten sie einen Vindikativcharakter und werden
damit zu wirklichen Strafen.
Während die poenae regelmäßig einen Richter-
spruch (sententia judicis) voraussetzen, ist bei den
censurae eine solche besondere Festsetzung kein not-
wendiges Erfordernis. Danach unterscheidet das
kanonische Recht censurae feren dae senten-
tiae und latae sententiae. Bei denletzteren, deren
Anwendung die Bulle „Apost. Scdis modera-
tioni“ v. 12. 10. 69 eingeschränkt hat, zieht die
verbotene Handlung die Zensur ipso facto nach
sich: der Täter spricht sich durch seine Tat selbst
das Urteil. Z
Der Kgucht unterliegen sowohl Laien wie
Geistlichell. Wird sie aber gegen Geistliche und
andere K Diener speziell wegen Handlungen ge-
übt, welche sich nicht als allgemeine Verstöße
egen die kirchliche Ordnung, oder nicht bloß als
soche, sondern auch als besondere Verletzungen
ihrer Dienstpflichten darstellen, so fällt die Ahn-
dung unter den Begriff der kirchlichen Diszi-
plinargewalt. Beiddieser kommen gleichfalls
Poenae und censurae zur Anwendung. Ebenso gilt
hier die Unterscheidung zwischen censurac feren-
dae und latac sententiae. Aber die Disziplinar-
gewalt, als ein Zweig der Kzucht, zeichnet sich
durch eine Reihe von Eigentümlichkeiten aus,
welche mit der Ausnahmestellung der davon be-
troffenen Personen zusammenhängen. Sie ist ein-
mal strenger, weil den Beamten die Einhal-
tung der kirchlichen Ordnung in erhöhtem Maße
obliegt. Sodann gebietet sie über einen größeren
Kreis von Repressivmitteln, weil den
KDienern vermöge ihres Amts besondere Rechte
gebühren, deren strafweise Entziehung nur bei
ihnen möglich ist (z. B. Absetzung, Versetzung,
Suspension). »
gi 4J Straf= und Zuchtmittel der katholischen
irche.
I. Als Strafen (poenae) gegen Geistliche und
Laien stehen heute in Uebung: 1. die Ver-
weigerung des kirchlichen Begräb-
nisses (denegatio sepulturac); gegen Geistliche
allein 2. Geldbußen, 3. körperliche Züch-
tigung (für juniores clerici), 4. Einbern-
fung zu geistlichen Uebungen (l(exer-
citia spiritunlia), 5. Klostergefängnis oder
Verweisung in eine Demeritenanstalt, vor allem
6. Abse ung. Letztere heißt: a) privatio
benckicü. Hier verliert Kondemnat sein bisheriges
Amt (officium et beneficium); b) depositio.
Hier geht er zugleich der weiteren Anstellungs-
faähigkeit verlustig;c) degradatio. Hier
werden ihm außerdem noch die geistlichen Standes-
rechte entzogen, doch behält er den ordo und da-
mit den priesterlichen character indelebilis.
II. Als eigentliche Zuchtmittel (oensurae)
gelten 1. das Interdikt. Bei diesem wird ent-
weder alle öffentliche kirchliche Tätigkeit (der Sa-
kramentsverwaltung wie des Gottesdienstes) in-
nerhalb einer K. oder eines bestimmten Bezirks
(Ort, Bistum, Land) eingestellt (Interdictum lo-
cale), oder der Ausschluß gewisser Personen von
der Teilnahme an den heiligen Handlungen (Messe,
Sakramente, kirchliches Begräbnis) verfügt (Inter-
dictum personale). — 2. Der Kirchenbann
(excommunicatio) kommt lediglich gegen Per-
sonen, aber in zwei Formen vor. a) Bei der
excommunicatio minor tritt nur Ausschluß von
den Sakramenten und Unfähigkeit zum Neuer-
werb von KAemtern ein. b) Die excommunicatio
major entzieht dagegen alle kirchlichen Rechte
sowie allen Verkehr mit den Gläubigen. Demge-
mäß wird eine doppelte Sperre über den Gebann-
ten verhängt. Er ist nicht bloß von der crommunoi
in sacris (von den heiligen Handlungen), sondern
auch von dem bürgerlichen Umgange aus-
geschlossen. Kein Geschäftsverkehr ist mit ihm statt-
haft, kein Briefwechsel, keine Konversation, keine
Tischgenossenschaft, keine Wohnungsgemeinschaft,
kein Kuß, ja kein Gruß. Auf dem Bruch der Ver-
kehrssperre steht der kleine KBann als Strafe.
Dagegen behält der Gebannte die kirchliche Mit-
gliedschaft: in seinem Pflichtenverhältnis wird
nichts geändert. Das neuere KRecht hat diese
Wirkungen des großen Bannes nach zwei Seiten
hin gemildert. Nach der c. Martini V. Ad
vitanda von 1418 soll nämlich die Verkehrssperre
erst dann eintreten, wenn der Bann offiziell zur
öffentlichen Kenntnis gebracht worden ist (specia-
liter et nominatim). Bei der excommunicatio
ferendac sententiae erfolgt die Bekanntmachung
durch Publikation des voraufgegangenen Spruchs,
bei der excommunicatio latac sententiae durch
Publikation einer Deklaration, welche den ipso
ktacto eingetretenen Bann konstatiert. Sodann
kann kraft Gewohnheitsrechts in Fällen einer voll-
kommenen Unkenntnis oder der Not (urgens
necessitas vel evidens utilitas) von Strafen gegen
einen Bruch der Verkehrssperre ausnahmsweise
abgesehen werden. Pius IX. (s. die im & 1 gen.
Bulle v. 12. 10. 69) hat die exc. minor wegen
bürgerlichen Verkehrs mit Exkommunizierten auf-
gehoben. — 3. Die Suspension setzt Beklei-
dung eines geistlichen Amts voraus und erfolgt
mit verschiedener Wirkung: a) ab ordine.
Hier sind dem Suspendierten die Weihefunktionen
untersagt; b) a beneficio. Hier verliert er
die Pfründnereinkünfte ganz oder teilweise; c)
ab okficio. Hier werden ihm alle Amtshand-
lungen, des ordo wie der jurisdictio, verboten.
Wegen geheimgebliebener Vergehen kann übrigens
der Bischof eine suspensio ab ordine oder ab of.
ticio ohne förmliches Verfahren verfügen, sog.
suspensio ex informata conscientia.
§s 3. Straf= und Zuchtmittel der evangelischen
Kirche. Als Straf= und Zuchtmittel dienten
1. Vermahnung, geheime oder öffentliche
(„Abkanzeln");?2. Kirchen bußen, geheime
oder öffentliche (z. B. „Armesünderbank“); 3. der
kleine Bann mit Ausschluß von den kirch-
lichen Gnadenmitteln, namentlich Zurückweisung
vom Abendmahl, von der Gevatterschaft, von der
Trauung und vom kirchlichen Begräbnis; 4. der
êgroße Bann mit Ausschluß von allen kirch-