Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Kirche (Kirchenzucht) 
  
1. Strafen (poenae vindicativae), sofern 
sie in erster Linie eine Sühne des gebrochenen 
Rechts bezwecken. Vergeltungsstrafen werden im- 
mer absolute verhängt, d. h. in certum tempus 
oder in perpetuum. Deshalb bleiben sie auch nach 
eingetretener Besserung in Kraft. 
2. Eigentliche Zuchtmittel (cen- 
surae oder poenae medicinales), sofern es sich 
in erster Linie um Besserung des Schuldigen 
handelt. Zensuren hören deshalb nach erfolgter 
uße wieder auf (Heilmittel). Werden sie aus- 
nahmsweise auf bestimmte Zeit, ohne Rücksicht auf 
inzwischen eingetretene Besserung, verhängt, so er- 
halten sie einen Vindikativcharakter und werden 
damit zu wirklichen Strafen. 
Während die poenae regelmäßig einen Richter- 
spruch (sententia judicis) voraussetzen, ist bei den 
censurae eine solche besondere Festsetzung kein not- 
wendiges Erfordernis. Danach unterscheidet das 
kanonische Recht censurae feren dae senten- 
tiae und latae sententiae. Bei denletzteren, deren 
Anwendung die Bulle „Apost. Scdis modera- 
tioni“ v. 12. 10. 69 eingeschränkt hat, zieht die 
verbotene Handlung die Zensur ipso facto nach 
sich: der Täter spricht sich durch seine Tat selbst 
das Urteil. Z 
Der Kgucht unterliegen sowohl Laien wie 
Geistlichell. Wird sie aber gegen Geistliche und 
andere K Diener speziell wegen Handlungen ge- 
übt, welche sich nicht als allgemeine Verstöße 
egen die kirchliche Ordnung, oder nicht bloß als 
soche, sondern auch als besondere Verletzungen 
ihrer Dienstpflichten darstellen, so fällt die Ahn- 
dung unter den Begriff der kirchlichen Diszi- 
plinargewalt. Beiddieser kommen gleichfalls 
Poenae und censurae zur Anwendung. Ebenso gilt 
hier die Unterscheidung zwischen censurac feren- 
dae und latac sententiae. Aber die Disziplinar- 
gewalt, als ein Zweig der Kzucht, zeichnet sich 
durch eine Reihe von Eigentümlichkeiten aus, 
welche mit der Ausnahmestellung der davon be- 
troffenen Personen zusammenhängen. Sie ist ein- 
mal strenger, weil den Beamten die Einhal- 
tung der kirchlichen Ordnung in erhöhtem Maße 
obliegt. Sodann gebietet sie über einen größeren 
Kreis von Repressivmitteln, weil den 
KDienern vermöge ihres Amts besondere Rechte 
gebühren, deren strafweise Entziehung nur bei 
ihnen möglich ist (z. B. Absetzung, Versetzung, 
Suspension). » 
gi 4J Straf= und Zuchtmittel der katholischen 
irche. 
I. Als Strafen (poenae) gegen Geistliche und 
Laien stehen heute in Uebung: 1. die Ver- 
weigerung des kirchlichen Begräb- 
nisses (denegatio sepulturac); gegen Geistliche 
allein 2. Geldbußen, 3. körperliche Züch- 
tigung (für juniores clerici), 4. Einbern- 
fung zu geistlichen Uebungen (l(exer- 
citia spiritunlia), 5. Klostergefängnis oder 
Verweisung in eine Demeritenanstalt, vor allem 
6. Abse ung. Letztere heißt: a) privatio 
benckicü. Hier verliert Kondemnat sein bisheriges 
Amt (officium et beneficium); b) depositio. 
Hier geht er zugleich der weiteren Anstellungs- 
faähigkeit verlustig;c) degradatio. Hier 
werden ihm außerdem noch die geistlichen Standes- 
rechte entzogen, doch behält er den ordo und da- 
mit den priesterlichen character indelebilis. 
  
II. Als eigentliche Zuchtmittel (oensurae) 
gelten 1. das Interdikt. Bei diesem wird ent- 
weder alle öffentliche kirchliche Tätigkeit (der Sa- 
kramentsverwaltung wie des Gottesdienstes) in- 
nerhalb einer K. oder eines bestimmten Bezirks 
(Ort, Bistum, Land) eingestellt (Interdictum lo- 
cale), oder der Ausschluß gewisser Personen von 
der Teilnahme an den heiligen Handlungen (Messe, 
Sakramente, kirchliches Begräbnis) verfügt (Inter- 
dictum personale). — 2. Der Kirchenbann 
(excommunicatio) kommt lediglich gegen Per- 
sonen, aber in zwei Formen vor. a) Bei der 
excommunicatio minor tritt nur Ausschluß von 
den Sakramenten und Unfähigkeit zum Neuer- 
werb von KAemtern ein. b) Die excommunicatio 
major entzieht dagegen alle kirchlichen Rechte 
sowie allen Verkehr mit den Gläubigen. Demge- 
mäß wird eine doppelte Sperre über den Gebann- 
ten verhängt. Er ist nicht bloß von der crommunoi 
in sacris (von den heiligen Handlungen), sondern 
auch von dem bürgerlichen Umgange aus- 
geschlossen. Kein Geschäftsverkehr ist mit ihm statt- 
haft, kein Briefwechsel, keine Konversation, keine 
Tischgenossenschaft, keine Wohnungsgemeinschaft, 
kein Kuß, ja kein Gruß. Auf dem Bruch der Ver- 
kehrssperre steht der kleine KBann als Strafe. 
Dagegen behält der Gebannte die kirchliche Mit- 
gliedschaft: in seinem Pflichtenverhältnis wird 
nichts geändert. Das neuere KRecht hat diese 
Wirkungen des großen Bannes nach zwei Seiten 
hin gemildert. Nach der c. Martini V. Ad 
vitanda von 1418 soll nämlich die Verkehrssperre 
erst dann eintreten, wenn der Bann offiziell zur 
öffentlichen Kenntnis gebracht worden ist (specia- 
liter et nominatim). Bei der excommunicatio 
ferendac sententiae erfolgt die Bekanntmachung 
durch Publikation des voraufgegangenen Spruchs, 
bei der excommunicatio latac sententiae durch 
Publikation einer Deklaration, welche den ipso 
ktacto eingetretenen Bann konstatiert. Sodann 
kann kraft Gewohnheitsrechts in Fällen einer voll- 
kommenen Unkenntnis oder der Not (urgens 
necessitas vel evidens utilitas) von Strafen gegen 
einen Bruch der Verkehrssperre ausnahmsweise 
abgesehen werden. Pius IX. (s. die im & 1 gen. 
Bulle v. 12. 10. 69) hat die exc. minor wegen 
bürgerlichen Verkehrs mit Exkommunizierten auf- 
gehoben. — 3. Die Suspension setzt Beklei- 
dung eines geistlichen Amts voraus und erfolgt 
mit verschiedener Wirkung: a) ab ordine. 
Hier sind dem Suspendierten die Weihefunktionen 
untersagt; b) a beneficio. Hier verliert er 
die Pfründnereinkünfte ganz oder teilweise; c) 
ab okficio. Hier werden ihm alle Amtshand- 
lungen, des ordo wie der jurisdictio, verboten. 
Wegen geheimgebliebener Vergehen kann übrigens 
der Bischof eine suspensio ab ordine oder ab of. 
ticio ohne förmliches Verfahren verfügen, sog. 
suspensio ex informata conscientia. 
§s 3. Straf= und Zuchtmittel der evangelischen 
Kirche. Als Straf= und Zuchtmittel dienten 
1. Vermahnung, geheime oder öffentliche 
(„Abkanzeln");?2. Kirchen bußen, geheime 
oder öffentliche (z. B. „Armesünderbank“); 3. der 
kleine Bann mit Ausschluß von den kirch- 
lichen Gnadenmitteln, namentlich Zurückweisung 
vom Abendmahl, von der Gevatterschaft, von der 
Trauung und vom kirchlichen Begräbnis; 4. der 
êgroße Bann mit Ausschluß von allen kirch-
	        
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