Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
  
  
Kirche (Kirchenzucht) 
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lichen Rechten sowie von dem kirchlichen Zusam- 
menleben, aber unbeschadet des bürgerlichen Ge- 
schäftsverkehrs. Alle diese Strafen sind jedoch in 
den meisten deutschen Landes K antiquiert, na- 
mentlich ist der große K Bann durch derogatorisches 
Gewohnheitsrecht überall beseitigt (Mecklenburg?). 
Das heutige ev. KfRecht kennt als Zucht- 
mittel nur noch 5. die Entziehung von be- 
stimmten einzelnen kirchlichen 
Rechten: Ausschluß vom Abendmahl, von der 
Patenschaft, von der Trauung, vom kirchlichen 
Begräbnis, von den kirchlichen Wahlrechten und 
kirchlichen Aemtern. Diese Zuchtmittel haben den 
Charakter von bloßen Ordnungsstrafen, die kirchen- 
polizeiliches l(nicht straf= oder disziplinar- 
rechtliches) Unrecht sühnen. Verhängt werden sie 
wegen sog. „ärgerlichen Lebenswandels“. Darun- 
ter fallen alle groben Verstöße gegen die kirchliche 
Sitte, z. B. Konkubinat, Ducll, Sonntagsjagd, 
offene Wort= und Sakramentsverachtung, Ver- 
schmähung der kirchlichen Trauung oder Konfir- 
mation, Erziehung der Kinder in einem anderen 
Glaubensbekenntnis usw. Eine bedeutsame Kodi- 
fikation dieses K Zuchtrechts enthält das preußische 
KGv. 30. 7. 80, betreffend die Verletzung kirch- 
licher Pflichten. 
Im übrigen liegt die Ausübung der Kzucht 
regelmäßig nicht mehr bei dem Geistlichen und den 
Regimentsbehörden, sondern in der Hand der 
Selbstverwaltungsorgane: Presbyterien (Gem- 
Kirchenräte) und Synoden. 
Die kirchliche Beamtendisziplin voll- 
zieht sich nach besonderen kirchlichen Disziplinar- 
gesetben. Regelmäßig sind als Strafarten hier zu 
unterscheiden: 
1. Ordnungsstrafen: Warnung, Ver- 
weis und Geldstrafe; 2. die Entfernung 
aus dem Kirchenamte, die bestehen kann 
in: Versetzung (in ein gleichartiges K Amt), 
Amtsenthebung (Verlust des derzeitigen 
Amtes und Diensteinkommens unter Belassung 
der Anstellungsfähigkeit, bei Geistlichen auch der 
sog. Rechte des geistlichen Standes) oder Dienst- 
  
  
entlassung (Verlust aller Rechte eines K Be- 
amten, d. h. des Titels und Nuhegehaltsanspruchs 
sowie der Anstellungsfähigkeit und beim geistlichen 
Amte der sog. Rechte des geistlichen Standes). 
Der Entfernung aus dem KüA#mnte (zu 2.) muß 
ein förmliches Disziplinarverfahren (geführt von 
den Konsistorien) vorhergehen (Vornntersuchung 
und Hauptverhandlung). Vgl. u. a. altpreuß. 
K, betr. die Dienstvergehen der K, Beamten, 
v. 16. 7. 86 (Ke# u. Vhl 81). 
Das Verfahren bei Beanstandung der 
Lehre von Geistlichen ist besonders geregelt 
durch das altpreuß. K#v. 16. 3. 1910 (KGu BBl7) 
l„Feststellungsverfahren“, nicht Diszivlinierung; 
besonderer Gerichtshof: „Spruchkollegium“1. Vgl. 
„Geistliche“ § 10 (Band Il S 35). 
## 4. Stellung des Staats zur Kirchenzucht. 
Das deutsche Staatsn Recht geht von dem Ge- 
danken aus, daß, wie dem Staate die Mahrung der 
bürgerlichen Rechtsordnung, so den K die Auf- 
rechterhaltung ihrer kirchlichen Ordnung gebührt, 
und daß ihnen daher das Recht nicht versagt 
werden darf, ihre Mitglieder, insbesondere ihre Be- 
amten, zur Erfüllung der ihnen obliegenden Pflich- 
ten durch geeignete Maßnahmen anzuhalten. Ein 
Einschreiten der Staatsgewalt gegen Betäti- 
  
gungen der Kzucht ist nur dann begründet, wenn 
staatliche Rechte und Interessen verletzt, oder wenn 
in die Rechtssphäre der Staatsbürger eingegriffen 
wird. Von diesem Gesichtspunkt aus haben die 
deutschen Staaten schon seit dem 16. Jahrhundert 
ein aus der Kpoheit abgeleitetes Aufsichtsrecht 
über die Uebung der kirchlichen Disziplin in An- 
spruch genommen. Während sie früher aber nur 
im allgemeinen das Erfordernis der Staats- 
genehmigung für gewisse Maßnahmen der 
Kzucht aussprachen, bzw. sich mit der Möglichkeit 
einer nachträglichen Repression auf An- 
rufen des Verletzten begnügten und demgemäß 
bei Ausschreitungen der kirchlichen Oberen wegen 
Mißbrauchs der geistlichen Amtsgewalt das 
Rechtsmittel der Berufung an den 
Staat eröffneten J Staatskirchliche Gerichtsbar- 
keit!, ist durch vier Staaten — Preußen, Sachsen, 
Württemberg, Großherzogtum Hessen — im Wege 
spezialgesetzlicher Regelung die Ausübung der 
K iZucht von genau präzisierten Be- 
dingungen abhängig gemacht worden. 
I. In Preußen Regelung durch zwei Gesetze: 
A. Das G v. 13. 5. 73 über die Grenzen des 
Rechts zum Gebrauch kirchlicher Straf= und 
Zuchtmittel, in Verbindung mit den Nov. 
v. 21. 11. 86 und v. 29. 4. 87, erklärt: 1. keine K. 
oder Religionsgesellschaft ist befugt, andere 
Straf= oder Zuchtmittel anzudrohen, zu verhängen 
oder zu verkünden, als solche, welche dem rein 
religiösen Gebiete angehören, oder die Ent- 
ziehung eines innerhalb der Kirche oder 
Religionsgesellschaft wirkenden Rechts oder die 
Ausschließung aus der K- oder Religions- 
gesellschaft betreffen. 2. Straf= oder Zuchtmittel 
gegen Leib, Vermögen, Freiheit oder bürgerliche 
Ehre sind unzulässig. 3. Unter die Bestimmungen 
des Gesetzes fällt die Versagung kirchlicher Gnaden- 
mittel nicht (Verweigerung der Absolution im 
Beichtstuhl). 
B. Nach dem G v. 12. 5. 73 über die kirchliche 
Disziplinarge walt, in Verbindung mit 
den vorgenannten Nov. von 1886 und 1887, 
dürfen 1. kirchliche Disziplinarstrafen gegen Frei- 
heit und Vermögen nur nach Anhörung der 
Beschuldigten verhängt werden. Der Entfernung 
aus dem Amt (auch Suspension) muß, wenn damit 
der Verlust oder die Minderung des Amtseinkom- 
mens verbunden ist, ein geordnetes prozes- 
sualisches Verfahren vorausgehen. In 
allen Fällen ist die Entscheidung schriftlich unter 
Angabe der Gründe zu erlassen. 2. Körper- 
liche Züchtigung ist unzulässig. 3. Geld- 
strafen dürfen 30 Taler oder den Betrag des 
einmonatlichen Amtseinkommens nicht übersteigen. 
4. Die Strase der Freiheitsentziehung 
darf nur in der Verweisung in eine inländische 
Demeritenanstalt bestehen, 3 Monate nicht über- 
steigen und wider den Willen des Betroffenen 
weder begonnen noch fortgesetzt werden. Die 
Demeritenanstalten selbst sind der staatlichen Auf- 
sicht unterworfen. Ihre Statuten und Hausord- 
nung, die Namen ihrer Leiter und Demeriten, 
auch die gegen letztere erkannten Strafen sowie die 
Zeit ihrer Aufnahme und Entlassung sind der 
Staatsbehörde mitzuteilen. 5. Die Befolgung 
obiger Vorschriften kann durch Exekutiv- 
strafen (bis 1000 Taler) erzwungen werden. 
6. Eine Vollstreckung bkirchlicher Diszipli-
	        
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