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Koalitionsrecht
des einzelnen zu wahren, hat der Gesetzgeber jedem
Teilnehmer an einer Koalition den Rücktritt ge-
stattet, so daß aus der Vereinigung und Verab-
redung „weder Klage noch Einrede“ herzuleiten
sind. Koalitionsfreiheit ist „Unverbotenheit“ (Lot-
mar). Koalitionen zur Erreichung eines bestimm-
ten Einzelzweckes und Berufsvereine können so-
mit gegen ihre Mitglieder die Erfüllung der ver-
abredeten Koalitionspflichten mit staatlichen Mit-
teln nicht erzwingen. Trotz des Fehlens des Klage-
und Einrederechts erwächst jedoch aus der Koali-
tion eine Naturalobligation, so daß z. B. die Zu-
rückforderung des Geleisteten nicht möglich ist.
Neben den Verabredungen zur Erlangung gün-
stiger Lohn= und Arbeitsbedingungen können na-
türlich sonstige zulässige Abreden bestehen, deren
Erfüllung die Koalition oder der Verein durch
Klage zu erzwingen suchen kann.
Verpflichtungen der Arbeiter, aus einem Ver-
bande auszutreten oder keinem beizutreten, sind
gemäß § 138 BGB nichtig. 5 152 Abs ! ist durch
das Reichsvereins G v. 19. 4. 08, soweit es für das
Vereins-- und Versammlungswesen Verbote und
Strafvorschriften beseitigt hat, im wesentlichen er-
setzt worden. Unberührt bleiben jedoch nach § 24
daselbst die Vorschriften des Landesrechts in bezug
auf Verabredungen ländlicher Arbeiter und
Dienstboten zur Einstellung oder Verhinderung
der Arbeit (siehe dazu Dierig 54 ff). Das materielle
K. ist jedoch eine dem Vereinsgesetz fremde Ma-
terie (Komm B 20 und Begründung 20). 1u
beiter.
Die Berufsvereine können allerdings zu
den Vereinen (7l, welche eine Einwirkung auf poli-
tische (sozialpolitische) Angelegenheiten bezwecken
(53 des Reichsvereins G), gehören. Es würde dies
der Fall sein, wenn sie nicht bloß das Interesse
ihrer Mitglieder, sondern ihrer ganzen. Berufs-
klasse verfolgen und dazu die Organe und Funk-
tionen des Staates in Bewegung setzen wollen.
Derartige „politische“ Vereine hätten nach # 3
die Satzung sowie das Verzeichnis der Mitglieder
des Vorstandes der Polizei einzureichen. Außer-
dem bestände die Beschränkung des §& 17: Verbot
der Aufnahme von Personen unter 18 Jahren.
In öffentlichen Versammlungen wären ferner nach
& 12 die Verhandlungen in deutscher Sprache zu
führen. Von der Anzeigepflicht (§§ 5 und 6) sind
aber die Koalitionen des § 152 Abs 1 entbunden.
Alle Verbindungsverbote sind weggefallen, wie
dies für inländische Vereine untereinander be-
reits durch das R#v. 11. 12. 99 geschehen ist.
Die Berufsvereine sind augenblicklich, falls sie
die Rechtsfähigkeit erwerben wollen, auf das
BB angewiesen (siehe §§8 21, 31, 61, 72 BGB).
Für Vereine, die nicht rechtsfähig sind, gelten
die Vorschriften über die Gesellschaft (§& 705 ff
BG). Aus einem Rechtsgeschäfte, das im Namen
eines solchen Vereins einem Dritten gegenüber
vorgenommen wird, haftet der Handelnde persön-
lich; handeln mehrere, so haften sie als Gesamt-
schuldner (5 54 BGB, dazu §§# 50 Abs 2 und
735 8 POzferner §85 207, 208 und 213 KonkursO).
Durch §5152 sind Arbeitgeber und Arbeiter völlig
gleichgestellt. Er behandelt bestimmte (indi-
viduelle) zukünftige Lohn- und Arbeitsverhältnisse
(Tarifverträge, Arbeitszeit, Ueberstunden, Ar-
beitsnachweise, Wohlfahrtseinrichtungen usw.).
Günstige Lohn= und Arbeitsbedingungen des
*152 sind nach der Rechtsprechung auch solche,
welche die Aufrechterhaltung bestehen-
der Lohnsätze gegenüber dem Verlangen der Ar-
beitgeber auf Lohnherabsetzungen zum Ziel haben.
Es handelt sich hier um Abschluß eines neuen Ver-
trages nach Erlöschen des Rechts auf die bisherigen
Löhne usw. Verabredungen, welche bezwecken, die
Erfüllung rechtsgültig bestehender vertraglicher
Pflichten zu erzwingen, unterstehen nicht den Be-
stimmungen der §# 152, 153 GewO. Bedingun-
gen, welche Arbeitgeber und Arbeiter stellen,
sind „günstige“, gleichgültig, ob sie ihnen
materiellen Gewinn bringen oder nicht. Das
Reichsgericht erklärt (RG#St 30, 237), daß dafür,
ob die von den Arbeitern erstrebten Lohn= und
Arbeitsbedingungen günstige sind, ihre eigene sub-
jektive Auffassung maßgebend ist. Es wird bezüg-
lich der Arbeitgeber dasselbe gesagt werden müssen.
Als Mittel zur Erlangung günstiger Arbeits-
bedingungen sind im Gesetz Streik und Aussper-
rung für zulässig erklärt. Sie können durch Tarif-
vertrag ausgeschlossen werden. Andere Mittel,
wie z. B. Boykott, Sperre, Streikpostenstehen,
schwarze Listen sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
: 54. Koalitionszwang. Die Parteien dürfen
durch ihre Mittel aber nicht §& 153 und allge-
meine Strafgesetze verletzen (Maschke, Boykott,
Sperre und Aussperrung — die jüngste Boykott-
entscheidung des RE in Bl. f. Rechtspflege 22,
90 ff und DJZ 16, 1350 ff). -
§153GewaehtnamentlichzuLastenderAro
Löwenfeld hat nachgewiesen, daß das,
was dieser Paragraph — unter ausdrücklichem
Vorbehalt der Verfolgung nach gemeinem Straf-
recht — als körperlichem Zwang, Drohung, Ver-
rufserklärung bezeichnet und unter seine besondere
Strafe stellt, vom Standpunkte des gemeinen
Strafrechts aus straflos, für alle Be-
völkerungsklassen straflos ist, auch für
die Arbeitgeber und Arbeiter, wenn es sich nicht
um Koalitionen handelt, für alle andern als die
im §& 153 gemeinten Bevölkerungsklassen auch
dann straflos, wenn es sich um Beförde-
rung ihrer Koalitionen durch solche Mittel handelt.
Unter „anderen" des # 153 versteht man regel-
mäßig nur die Standesgenossen der Koalierten.
Angehörige der Gegenpartei und Dritte kommen
nur in Frage, soweit sie sich an der Verabredung
beteiligen, nicht soweit sie die günstigen Be-
dingungen gewähren sollen. Das Gesetz nennt
vier Arten des Koalitionszwanges: 1. körperlichen
Zwang, 2. Drohungen, 3. Ehrverletzung, 4. Ver-
rufserklärung. Körperlicher Zwang be-
greift nicht nur Mißhandlungen, sondern jede gegen
den Körper gerichtete Handlung (Freiheitsberau-
bung, Entziehung der Nahrung). Es genügt die
ein fache Drohung (im Gegensatz zu der
mit einem Verbrechen und Vergehen) zur Straf-
barkeit, wenn durch sie günstige Lohn= und Ar-
beitsbedingungen erreicht werden sollen. Unter
Ehrverletzung wird jede Art von Belei-
digung verstanden (z. B. die Bezeichnung als
„Streikbrecher"); es reicht aus, wenn eine Aeuße-
rung über einen andern denselben einem „Haß“
aussetzt. Die Verrufserklärung ist Un-
würdigkeitserklärung, welche dazu dienen soll, Be-
rufsgenossen zum Beitritt zu den Verabredungen.
und Vereinigungen zu gewinnen.
5* 153 kennt nur Verabredungen und er-
wähntnicht auch —wie 3152— Vereinigungen.