Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
z 3. In den Landesgesetzen behandelte Krank- 
heiten. I. Die zu dieser Gruppe gehörigen übertrag- 
baren K. werden in den einzelnen Staaten nicht 
gleichmäßig behandelt. Für 
das G# 28. 8. 05 nebst Ausf. Bestimmungen und 
Sonder Anw für die einzelnen K. Für solche K., 
die hier nicht berücksichtigt sind, ist nach § 5 des 
6G die Möglichkeit vorgesehen, daß das Staats Min 
die Anzcigepflicht auch auf diese vorübergehend 
ausdehnt. Für Bayern ist eine den preußischen 
Bestimmungen analoge Desinfektions Anw er- 
lassen (Bek des Min v. 31. 3. 00). Iu Würt- 
die auf vie Hornhaut übergehen und zu Erblindung führen 
temberg ist die Bekämpfung der K. durch 
Krankheiten (übertragbare 
Preußen gilt 
Min V v. F. 2. 10 geregelt. Im großen und ganzen 
sind die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen für 
die übertragbaren K. ähnlich denen für die gemein- 
gefährlichen K., mit Abstufungen je nach der Art 
der bestimmten K. Eine Ermittlung des einzelnen 
K. Falls durch den beamteten Arzt ist in Preußen 
nur für Ruhr, Typhus, Milzbrand, Rotz, Kind- 
bettfieber und Genickstarre vorgesehen, während 
für Diphtherie, Scharlach und Körner K. die 
Pol Behörde ermächtigt ist, die ersten Fälle, falls 
sie nicht ärztlich angezeigt sind, ärztlich feststellen 
zu lassen. Ferner sind in allen Bundesstaaten noch 
besondere Anweisungen zur Verhütung der Ver- 
breitung der Infektions K. durch die Schulen er- 
lassen. Für Preußen ist die umfassendste Anwei- 
sung unter dem 9. 7. 07 ergangen; analoge Be- 
stimmungen enthält die L für Sachsen v. 14. 
und 27. 2. 08. Die preußische Anweisung bezieht 
sich auf folgende K.: Aussatz, Cholera, Diphtherie, 
Fleckfsieber, Gelbfieber, Genickstarrc, Pest, Pocken, 
Rückfallfieber, Ruhr, Scharlach, Typhus als die 
erste Gruppe, für die strengere Maßregeln in Be- 
tracht kommen, und auf Favus, Keuchhusten, 
Körner##., Krätze, Lungen= und Kehlkopftuber= 
kulose, Masern, Milzbrand, Mumps, Röteln, Rotz, 
Tollwut, Windpocken als die zweite Gruppe mit 
weniger strengen Maßregeln. 
[I. a) Diphtherie. 
Es ist eine in Deutschland häufige und vielfach epidemisch 
verbreitete K. hauptsächlich des Kindesalters, wird durch 
den Löfflerschen Bazillus hervorgerusen und meist direkt 
übertragen. Sie ist seit Entdeckung des Heilserums erheb- 
lich zurückgegangen: vor der Anwendung des Serums 
kamen in Deutschland etwa 60—70 000 Todbesfälle jährlich 
vor, nach dessen Einführung nur noch etwa 20 000. Be- 
achtenswert sind besonders die „Vazillenträger" (s. 12 IIa). 
Die Anzeige pflicht für alle K. Fälle ist 
in allen Bundesstaaten durchgeführt, in Bayern, 
Sachsen, Baden, Hessen auch für „Krupp“ (eine 
spezisische Erkrankung des Kehlkopfes), im Fürsten- 
tum Lübeck auch für die Verdachtsfälle. 
b) Uebertragbare Genickstarre, 
durch den Weichselbaumschen Meningococcus hervorgeru- 
sen, ist in der neuesten Zeit mehrfach in heftiger epide- 
mischer Verbreitung namentlich im oberschlesischen Berg- 
werkbezirk und im rheinisch-westfälischen Industriegebiet 
ausgetreten und als eine sehr bösartige K. auszufassen. 
Einc besondere Gesahr bilden die gesunden „Kolkenträger“, 
gegen die aber die gesetzlichen Maßnahmen z. T. im Stich 
lassen, da Zwang zur Absonderung nicht zulässig ist. 
Anzeigepflicht ist für die Erkrankungs- 
fälle in allen Bundesstaaten, für die Verdachtsfälle 
auch in Sachsen und einigen kleineren Staaten 
vorgeschrieben. 
c) Das Kindbettfieber. 
Diese durch Eiterbakterien hervorgerusenc Erkrankung frisch 
Entbundener ist trotz aller Fortschritte auf dem Gebiet der 
Wöchnerinnenpflege noch immer ziemlich stark verbreitet: 
es sterben in Deutschland jährlich etwa 3500 Entbundene 
daran. Die Verhütung der K. gehört mit zu den Haupt- 
aufgaben der Hebammen II1. 
Anzeigepflicht in allen Staaten, in 
Bayern, Württemberg, Oldenburg und mehreren 
kleineren Staaten auch für Verdachtsfälle; in den 
übrigen Staaten, wie Preußen, liegt die Anmelde- 
pflicht für Verdachtsfälle nur den Hebammen ob. 
d) Körnerkrankheit (Granulose, Trachom) 
Es ist eine meist chronische Erkrankung der Augenbindehaute, 
kann; der Erreger ist noch nicht sicher festgestellt. Die K. ist 
im östlichen Deutschland ziemlich stark verbreitet und wird 
vielsach aus Nußland eingeschleypt. 
Anzeigepflicht in allen Bundesstaaten 
mit Ausnahme von Hessen und Elsaß-Lothringen, 
nur fakultative Anzeige in Sachsen und Anhalt. 
In Preußen findet in Ostpreußen und einigen 
anderen östlichen Bezirken eine planmäßige Be- 
kämpfung der Seuche, nämlich zwangsweise Un- 
tersuchung und Behandlung gemäß §1 27 Anw 
v. 10. 8. 06 statt. Im übrigen werden nur die 
ersten Fälle, falls sie nicht ärztlich angezeigt sind, 
durch die Orts Pol Behörden ärztlich festgestellt 
und können Bevbachtungen kranker und krankheits- 
verdächtiger Personen angeordnet werden. 
e) Das Rückfallfieber 
ist eine fast ganz aus Deutschland verschwundene K., die 
jedoch in Rußland stark verbreitet ist und deshalb von da 
eingeschleppt werden kann. Der Erreger ist ein Spirillus. 
Anzcigepflicht besteht in allen Staaten 
außer Sachsen, für Verdachtsfälle auch in Würt- 
temberg. 
f) Die Ruhr 
ist eine in zwei Formen auch bei uns nicht selten vorkommende 
K., die, veranlaßt durch bestimmte Kleinlebewesen, in den 
Sommermonaten häufiger epidemische Verbreitung zeigt. 
Bei der Uebertragung spielen auch die chronischen Dauer- 
ausscheider von Ruhrbazillen eine Rolle. 
Die K. ist anzeigepflichtig in allen 
Staaten mit Ausnahme von Anhalt, wo nur bei 
bösartigen und zahlreichen Erkrankungen eine An- 
zeige erfordert wird; in Bayern sind auch ver- 
dächtige Fälle anzuzcigen. 
8) Der Scharlach 
ist eine der verbreitetsten und g fährlichsten cinheimischen 
K., namentlich des Kindesalters; es starben in Deutschland 
im Turchschnitt der Jahre 1893/1904 daran fährlich 11 460 
Menschen, d. h. über 2 auf 10 000 Lebende. Der Erreger der 
K. ist nicht bekannt. 
Für die K. ist übcrall obligatorische Anzeigec- 
pflicht vorgeschrieben, im Fürstentum Lübeck 
auch für Verdachtsfälle. 
n) Der Unterleibstyphus 
ist weltverbreitet, aber in den letzten Jahren dank der ener- 
gischen Maßnahmen, namentlich der Verbesserung der 
Trinkwasserversorgung und Abwässerbeseitigung, zurückge- 
gangen. In Deutschland wurden während des Zeitraums 
1893/1004 jährlich durchschnittlich 5645 Todesfälle, d. h. 
1,1 auf 10 000 Lebende gezählt. Der Erreger der K. ist der 
Typhus-Vazillus, der eine ziemliche Widerstandsfähigkeit 
besitzt und im Wasser und Boden monatelang lebensfähig 
bleibt. Bei der opidemischen Verbreitung spielen besonders 
das Trinkwasser, serner Milch und auch andere Nahrungs- 
mittel eine große Rolle. 
Auch für die Uebertragung des Typhus sind die 
chronischen Bazillenträger von großer Bedeutung.
	        
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