Kriegssanitätswesen
daß dadurch die Verdienste von Mathilde Arne-
mann in Schleswig-Holstein (1849) und der Miß
Florence Nightingale im Krimkriege geschmälert
werden. Die Schlacht von Solferino am 24. 6. 59,
in der über 300 000 Krieger in 36 km langer
Schlachtordnung über 15 Stunden miteinander
rangen, zeigte von neuem, wie unzureichend die bis-
herige Organisation des K Sanitätswesens für die
mörderischen Kämpfe unseres Zeitalters sei. Der
Genfer Henri Dunant schilderte in dem „Souvenir
de Solferino“ seine Eindrücke und gab mit seinen
Vorschlägen den Anstoß zu der großartigen Organi-
sation, die man heute kurzweg als „rotes Kreuz“
bezeichnet über die Anregungen Palascianos vgl.
Lueder 44). Für dessen Bedeutung sind zwei
Seiten durchaus auseinanderzuhalten. Einerseits
wollte man ein völkerrechtliches Ziel er-
reichen durch die Neutralisierung der Sanitätsan=
stalten und -Personen (hierüber s. unten # 10);
vor allem aber wollte man auf dem Gebiete der
Verwaltung eine durchgreifende Reform
durch Organisation der freiwilligen Hilfe zur Un-
terstützung der Militärbehörden erstreben. Diese
Gedanken wurden in der Sitzung der Genfer Ge-
meinnützigen Gesellschaft v. 9. 2. 63 beraten; es
gelang, eine internationale Konferenz herbeizu-
führen, die am 26. 10. 63 in Genf zusammentrat
und einen Vertrags Entw annahm, der im we-
sentlichen nur die Organisation der freiwilligen
Hilfe betraf. Der zweite Punkt (Neutralität) wurde
erst jetzt (von Berlin aus) angeregt und in den
Vordergrund gerückt. Ueber diesen verbindliche
Festsetzungen zu treffen, war dem Kongresse vom
August 1864 vorbehalten, dessen Ergebnis die
Genfer Konvention v. 22. 8. 64 war.
Damit war der Anstoß zu einer Reform des
KSanitätswesens in allen Staaten gegeben;z gleich-
zeitig konnten die Erfahrungen zweier K, des nord-
amerikanischen Sezessionskrieges (1861—1865) und
in Deutschland des schleswig-holsteinschen K (1864)
nutzbar gemacht werden. Am 6. 2. 64 wurde der
preußische Männerverein usw. gestiftet, wodurch
ein fester Mittelpunkt für die weitere Entwicklung
gegeben war (weitere Organisation s. unten
55 6, 9.
den auf den Konferenzen zu Paris (1868), Berlin
(1869), Genf (1884), Karlsruhe (1887), Genf 1906
ausgetauscht und zum Teil eine Weiterbildung
versucht; in fast allen Staaten sind die Vereine
vom roten Kreuz feste und heilsame Einrichtungen
geworden, auch dort, wo wie in der Türkei das
äußere Zeichen aus religiösen Gründen (in einen
roten Halbmond) geändert wurde.
—–y –
Die internationalen Erfahrungen wur-
Mit dieser Reform Hand in Hand ging natur-
gemäß die Umgestaltung des amtlichen Koanitäts-
wesens, die überdies durch die gewaltigen
Fortschritte auf chirurgischem Gebiete beeinflußt
wurde (Antiseptik). Hier können nur die haupt-
sächlichsten Richtungen der verbessernden Umge-
staltungen 1856—1878 angedeutet werden (7 Mi-
litärärzte!: Organisation des Sanitätsdienstes
als geschlossener Formation (preuß. V über die
Sanitätskorps v. 6. 2. 73), Leitung durch seine
eigenen Organe, Einführung der Sanitätsdetache-
ments, Aufnahme der Zelte und Baracken in die
Unterkunftsmittel, Schaffung der Sanitätsszüge,
Organisation des Transport= und Zerstreuungs-
wesens.
5 2. Kriegssanitätsordnung (KSO). Die nach
683
diesen bedeutsamen Umgestaltungen für dieses
Verwsebiet geltenden Grundsätze sind zunächst fest-
gehalten durch die KSO v. 10. 1. 78: Köanitäts-
wesen im allgemeinen, Sanitätsdienst bei der Feld-
armee, beim Etappen= und Eisenbahnwesen, bei
der Besatzungsarmee, spezielle Anweisung für
einzelne Dienststellen, freiwillige Krankenpflege.
Dieser sehr umfangreiche Kodex ist durch eine
neue übersichtlichere und handlichere KSO v.
27. 1. 07 ersetzt worden.
In der neuen Vorschrift sind die Erfahrungen aus den
Feldzügen des letzten Jahrzehnts verwertet, die Errungen.
schaften auf dem Gebiete der Khirurgie, der Antiseptik,
der Seuchenverhütung ausgenutzt und die taktischen Ge-
sichtspunkte mit den sanitären Rücksichten in Einklang ge-
bracht worden.
An der bewährten Einteilung der Sanitätsanstalten in
Sanitäts-Kompagnien bei den Infanterie-Divisionen, Feld-
lazaretten bei den Armeekorps, Reservelazaretten auf den
Etappen, Lazarett, Hilfslazarett., Krankenzügen auf den
Eisenbahnen ist festgehalten, die Truppe selbst ist mit ver-
besserten Sanitäts-Einrichtungen versehen worden, die
veraltete Einrichtung der Hilfskrankenträger, die erst zum Ge-
kecht austraten und nicht unter dem Schutz der Genfer Kon-
vention standen, ist sortgefallen: an ihre Stelle treten vier
richtige Krankenträger, die als Nichtkämpfer unter dem
Schutz der Konvention stehen und der Truppe als geschultes
Personal schäbtbare Dienste leisten werden. Die Kavallerie,
die so aut wie gar keine Sanitäts-Einrichtungen besaß, hat
Sanitäts-Gepäcktaschen und Nottragen auf Packoferden so-
wie an Stelle des schwerfälligen Medizinwagens einen
leichten Kavallerie= Sanitätswagen, die Kavallerie-Division
einen sechsspännigen Sanitäts-Vorratwagen erhalten. Jede
Sanitätskompagnie ist um 4 Unterofsiziere und 48 Kranken-
träger vermehrt worden und zählt jetzt rund 230 Mann.
Azetylenbeleuchtung des Hauptverbandplatzes und besondere
Verbindezelte, die von 3 bis 4 Mann in 10 bis 15 Minuten
aufgeschlagen werden können, sind eingeführt worden. Die
Reserve--Lazarette erhalten eigene Feldröntgen--Wagen.
Fahrbare Trinkwasserbereiter und ein bakteriologisches La-
boratorium zur Anstellung huygienischer Untersuchungen
sind eingeführt worden. Hierzu kommt, daß die Befehls.
besugnisse zwischen Truppen- und Sanitäts-Offizieren genau
begrenzt sind. Zahlreiche Anlagen enthalten Anweisungen
technischer Natur. Selbstverständliche juristische Festsetzungen
wie sie die K SO 1875 kannte, z. B. „Rechtsanspruch auf
unentgeltliche Behandlung"“ u. dal. sind vermieden.
Die Abschnitte der jetzignen KSO sind: A. Sanitätsdienst
im Operationsgebiete, B. im Etappengebiete, C. im Heimats-
gebicte, D. der K Gefangenen, E. Gesundheitesdienst, F. Kran-
kendienst im K, G. Vernichtung von Ansteckungsstoffen,
H. Personal und Ausrüstung, J. freiwillige Krankenpflege,
K. Genfer Abkommen.
II. bie Organisation
#§ 3. Das Personal. Zentralbehörde für das
Koanitätswesen ist das K Min, insbesondere dessen
Medizinalabteilung, deren Chef der Generalstabs-
arzt der Armee ist und der ein Abteilungschef und
mehrere Referenten, außer einem Oberstabsapo-
theker sämtlich Aerzte, angehören. Unmittelbar dar-
unter Sanitätsinspektionen. Militärärztliche Pro-
vinzialbehörde ist das Sanitätsamt, je eins bei je-
dem Generalkommando, mit dem Korpsarzt an der
Spitze. Darunter Divisionsärzte und die Aerzte
bei den einzelnen Truppenteilen (Oberstabsarzt
als Regimentsarzt usw.). Im K ist die Organi-
sation analog bezw. verdoppelt. Organ der