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Militärwesen (C. Militärrechtspflege)
gimentskommandeuren und ihnen gleichstehenden
Befehlshabern zu und erstreckt sich nur auf die
nicht im Offiziersrange stehenden Personen, in
sachlicher Hinsicht nur auf Uebertretungen und
bestimmt bezeichnete Vergehen des MStGB und
des gemeinen Rechts. Gerichte der niederen Ge-
richtsbarkeit sind die Standgerichte; sie
können im Frieden keine höhere Strafe als Frei-
heitsstrafe bis zu 6 Wochen oder Geldstrafe bis
zu 150 Mk. allein oder in Verbindung miteinander
aussprechen. Im Felde und an Bord sind die
Zuständigkeitsgrenzen erweitert. Die Standge-
richte werden durch 3 Offiziere gebildet, der Ge-
richtsoffizier vertritt die Anklage, Verteidigung ist
ausgeschlossen.
Die höhere Gerichtsbarkeit er-
streckt sich auf alle der M. unterstehenden Per-
sonen und auf alle strafbaren Handlungen, auch
einschließlich der Straftaten, die im bürgerlichen
Strafverfahren dem Reichsgericht zufallen.
Die höhere Gerichtsbarkeit wird von den Di-
visionskommandeuren usw. in erster, von den
kommandierenden Generalen und Admiralen und
gleichstehenden Befehlshabern in der II. Instanz
ausgeübt. Erstere berufen die Kriegsge-
richte, deren Rechtsprechung überhaupt den
Schwerpunkt des ganzen Verfahrens ausmacht,
letztere die Oberkriegsgerichte als Be-
rufungsgerichte für die Urteile der Kriegsgerichte.
Die Kriegsgerichte selbst sind endgültig ent-
scheidende Berufungsinstanz für die Urteile der
Standgerichte.
Die Kriegsgerichte sind mit 5 Richtern, in der
Regel mit 1, ausnahmsweise mit 2 Kriegsgerichts-
räten besetzt, die Oberkriegsgerichte bestehen aus
7 Richtern, darunter 2 Militärjuristen; die übrigen
Richter sind Offiziere. Die Teilnahme von Sani-
tätsoffizieren, Veterinäroffizieren, Ingenieure des
Soldatenstandes und oberen Militärbeamten als
Richter ist für die Fälle gesichert, in denen der-
artige Offiziere, Beamte usw. angeklagt sind; im
übrigen hängt es vom Range des Angeklagten ab,
ob Offiziere höheren oder niederen Dienstgrades
zu berufen sind. Der Vorsitz und damit die Sit-
zungspolizei fällt bei allen höheren Militärgerich-
ten (auch dem Reichsmilitärgericht) dem rang-
ältesten Offizier, die Verhandlungsführung dem
dienstältesten Juristen zu.
3. Gegen die Urteile der Oberkriegsgerichte ist
Revision an das Reichsmilitärgericht
zulässig. Nur bei ihm ist der Grundsatz der Selb-
ständigkeit der Gerichte vollständig durchgeführt.
Das Reichsmilitärgericht ist in Senate gegliedert,
die aus 7 richterlichen (Reichsmilitärgerichtsräte,
Senatspräsident) und militärischen Mitgliedern
bestehen; eine besondere Militäranwaltschaft ist
eingerichtet. An der Spitze des Reichsmilitär-
gerichts steht ein General (Admiral) mit dem Range
eines kommandierenden Generals; ihm fällt die
Verwaltung (Militärjustizverwaltung) zu, an der
Rechtsprechung nimmt er nicht teil. Für Bayern-
besteht ein besonderer Senat; seine staatsrecht-
liche Stellung ist bestritten. Ein Gerichtsherr ist
beim Reichsmilitärgericht nicht.
4. Trotz der selbständigen Stellung der Gerichts-
herrn sind dem übergeordneten Gerichtsherrn
gewisse (instanzenartige) Rechte gewährt: er ist
befugt, den ihm untergebenen Gerichtsherrn an-
zuweisen, eine Untersuchung einzuleiten oder
fortzusetzen (auch die Anklageverfügung zu er-
lassen), ferner ein Rechtsmittel einzulegen oder
zurückzunehmen; diese Befugnisse stehen aber nur
für den Einzelfall zu und vertragen keine aus-
dehnende Auslegung; der höhere Gerichtsherr
darf sonst nicht in den Gang eines Verfahrens ein-
greifen, er darf vor allem nicht anweisen, ein Ver-
fahren einzustellen; § 24.
5. Die Militärjustizverwaltung
(56 111, 112) wird, vom Reichsmilitärgericht abge-
sehen, durch die Kriegsministerien und die ihnen
gleichstehenden Behörden, für die Marine durch
den Reichskanzler (Marinc-Amt) ausgeübt. Nach
den Motiven kann sich diese Behörde besonderer
Organe bei Ausübung ihrer Tätigkeit bedienen.
Als eigentümliches Ueberbleibsel des älteren
Prozesses stellt sich die Nachprüfung der Urteile
und Akten jeweils bei den höheren Gerichten dar
s 9 1 1 ) eine Einrichtung, die allmählich abzusterben
eint.
*5 6. Tas Ermittlungsverfahren. Ueber die
Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bestimmt
der Gerichtsherr. Es herrscht Strafverfolgungs-
zwang mit geringer und ganz unbedenklicher Ab-
schwächung (s 250, 251, 253 MStGO). Das
Ermittlungsverfahren zeichnet sich durch Einfach-
heit, Einheitlichkeit und Geschlossenheit aus; es.
ähnelt der Voruntersuchung der bürgerlichen
Strafprozeßordnung. Seine Durchführung wird
bei der höheren Gerichtsbarkeit (Divisions-- usw.
Gerichten) einem Kriegsgerichtsrat, bei der nie-
deren Gerichtsbarkeit einem Gerichtsoffizier über-
tragen (Untersuchungsführer, Organe des Ge-
richtsherrn). Der Untersuchungsführer ist von
den Weisungen des Gerichtsherrn abhängig, bei
Ausführung der Ermittlungshandlungen ist er
jedoch ganz selbständig. Der Gerichtsherr darf an
Untersuchungshandlungen nicht teilnehmen, hat
aber das Recht jederzeitiger Akteneinsicht und be-
sonderer Verfügungen. Ueber wichtige Unter-
suchungshandlungen sind Verhandlungen aufzu-
nehmen, die der Gerichtsschreiber (bei der höheren
Gerichtsbarkeit besonders angestellte Kriegsge-
richtssekretäre, bei der niederen Gerichtsbarkeit
Unteroffiziere usw.) als Urkundsperson mitzunnter-
zeichnen hat. Der Untersuchungsführer darf Unter-
suchungshandlungen jeder Art, auch rein richter-
liche Handlungen vornehmen, in besonders be-
gründeten Fällen kann er Zeugen und Sachverstän-
dige beeidigen, in einfach liegenden Fällen können
Feststellungen des Disziplinarvorgesetzten [NI als
Grundlage der Entscheidung über die Anklage-
erhebung genügen. Im übrigen ist das Ermitt-
lungsverfahren nicht weiter auszudehnen, als er-
forderlich ist, um zu entscheiden, ob Anklage zu er-
heben sei oder nicht. Der Beschuldigte muß im
Ermittlungsverfahren gehört werden, den Ab-
schluß des Verfahrens bildet seine Vernehmung
über das Ergebnis der Ermittlungen.
7. Die vom Gerichtsherrn erlassene, vom Kriegs-
gerichtsrat usw. mit zu unterschreibende An-
klageverfügung entspricht dem Beschluß
über die Eröffnung des Hauptverfahrens der
bürgerlichen Strafprozeßordnung. Der Kriegs-
gerichtsrat, der die Anklage vertreten soll, fertigt.
danach eine Anklageschrift als Ergänzung der An-
klageverfügung, in der die Beweismittel und das
wesentliche Ergebnis der Ermittlungen aufge-
nommen sind sie dient wesentlich der Verteidigung