Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
78 Gemeinde (III. Organisation) 
  
heiten bedurften außerdem regelmäßig der Genehmigung 
der Regierung. 
Die Berfassung der Landgemeinden bestimmte 
sich durch die sog. Gutsherrlichkeit. Die Besitzer der — 
selbständig neben den Gem bestehenden — Rittergüter 
übten die Patrimonialgerichtsbarkeit und in Verbindung 
damit die Polizeigewalt über die Land Gem aus. In gering- 
fügigen Angelegenheiten ließen sie sich vertreten durch Orts- 
gerichtsversonen. In deren Händen lag außerdem die Ver- 
waltung des Gem Vermögens, sofern hierfür von den Gem- 
Mitgliedern mit Genehmigung des Gutsherrn nicht beson- 
dere Personen (Bauermeister, Gem Aelteste, Heimbürgen) 
gewählt wurden. 
Außer den Städten, Land Gem und selbständigen Gütern 
gab es noch eine große Anzahl einzelner ländlicher Grund- 
stücke (Vorwerke, Mühlen, Weinberge, Wohnhäuser). Eine 
vollständige Aufteilung des Landes bestand also nicht. 
II. Die erste gesetzliche Regelung 
der Gemeindeverhältnisse erfolgte 
durch die Allg. St O v. 2. 2. 1832 und die LGO 
v 7. 11. 38. Veranlaßt wurden diese Gesetze 
durch die Umgestaltung der Landesverfassung 
(sächs. VU v. 4. 9. 31) sowie durch gewisse Miß- 
stände, die in der Amtsführung der städtischen 
Magistrate eingerissen waren und ihren Ursprung 
hatten in dem oben erwähnten Rechte der Stadt- 
räte, ihre Mitglieder selbst zu wählen. Trotz des 
Erfordernisses landesherrlicher Bestätigung und 
trotz wiederholter Erlasse, in denen auf die Unzu- 
lässigkeit der Wahl verwandter und verschwäger- 
ter Personen hingewiesen wurde, hatte jenes 
Recht doch vielfach dazu geführt, daß die Rats- 
stellen zur Domäne bestimmter Familien und 
Kreise wurden, die durch Mißwirtschaft und will- 
kürliches Regiment große Mißstimmung hervor- 
gerufen und sogar lokale Unruhen heraufbeschwo- 
ren hatten (1830 „Stadtrevolutionen" in Dresden 
und Leipzig). 
Durch die Allg St O wurde die Vertretung der 
Städte in die Hände zweier Kollegien gelegt, 
des Stadtrats und der Stadtverordneten (oder 
des größeren Bürgerausschusses). Letzteren wurde 
die Ueberwachung der gesamten Verwäätigkeit 
der Stadtrats, die Mitentschließung bei Aufstellung 
von Ortsstatuten und bei allen wichtigerei finan- 
Siellen Angelegenheiten sowie die Wahl der Rats- 
mitglieder zugewiesen. Die Befugnisse des 
Stadtrats wurden überdies durch die Anordnung 
beschränkt, daß er die Ausübung der ihm (zufolge 
früherer Verleihungen oder Verträge) etwa zu- 
stehenden Gerichtsbarkeit einem besonderen, in 
bestimmter Weise zu besetzenden Stadtgerichte 
übertragen mußte. „Die Oberaufsicht über die 
Einrichtung und Verwaltung der städtischen Ge- 
meinwesen sowie alle übrigen Hoheits= und Re- 
gierungsrechte“ wurden ausdrücklich dem Könige 
vorbehalten. Für die Errichtung von Ortsstatuten 
war die Genehmigung, für die Wahl der Nats- 
mitglieder die Bestätigung der Regierung ein- 
zuholen. 
Die LO beließ die Ortsobrigkeit in der Hand 
des bisherigen Inhabers, also regelmäßig des 
Gutsherrn, und schuf als Vertretung der Gemeinde 
(zur Verwaltung des Gem Vermögens und Fest- 
setzung der Gem Leistungen) den kollegialen Ge- 
meinderat, bestehend aus dem Gem Vorstand, 
einem oder mehreren GemAcltesten und einer 
Anzahl Ausschußpersonen. 
  
In Ansehung der Güter und Grundstücke, die 
  
seither außerhalb der GemBezirke bestanden 
hatten, bestimmte die LG, daß sie entweder zu 
besonderen Gem zu vereinigen oder den nächsten 
Land Gem einzuverleiben seien. Selbständigkeit 
behielten die staatlichen Waldungen, die Kammer- 
güter, Kgl Schlösser nebst Zubehörungen, die 
Rittergüter sowie solche Güter, die zur Gem im 
gleichen Verhältnisse standen, und geschlossene 
Waldungen, die bisher zu einem Gem Verbande 
nicht gehörten. Unbenommen blieb jedoch überall 
Angliederung an Gem im Wege freier Ueberein- 
kunft. 
III. Entwicklung bis zum Erlasse der 
geltenden Gemeindeordnungen v. 24. 4. 73. 
Das Interesse am öffentlichen Leben, das durch die Heran- 
ziehung der Gem Mitglieder zur Teilnahme an der Berwal- 
tung geweckt worden war, erfuhr eine starke Förderung durch 
die Ende der 40er Jahre einsetzenden politischen Umwäl- 
zungen. Sie ließen zugleich den Wunsch nach größerer Frei- 
heit in der Organisation und Beschränkung des staatlichen 
Aufsichtsrechts entstehen. Auf Städte- und Gemeindetagen 
erwog man, in welcher Weise ein entsprechender Ausbau der 
Gem Verfassungen und ihre Anpassung an die durch die po- 
litischen Ereignisse sowie durch die Gesetze des Norddeutschen 
Bundes (Freizügialeitsgesetz) geschafsenen Aenderungen 
des öffentlichen Rechts erreicht werden könne. Die Bera- 
tungen führten schließlich (1869) zu folgenden wesentlichsten 
Forderungen: Beschränlung der Gem Lrdnungen auf die 
allgemeinsten Grundsätze und Ueberweisung aller weiteren 
Bestimmungen an die Ortsgesetzgebung, Sicherung der 
Selbstregierung durch Beseiligung des staatlichen Bestäti- 
gungerechts hinsichtlich der Wahl der Gem Vertreter, Ueber- 
tragung der Sicherheits= und Wohlsahrtspolizei auch auf 
die Vertretung der Land Gem, Vereinigung der selbständi- 
gen Grundstücke mit den Gem, Aufstellung gleicher Grund- 
sätze (für Stadt und Land) bezüglich der Erwerbung der 
vollen Gem Mitgliedschaft, Einführung des allgemeinen, 
gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts der Gem Mit- 
glicder bei der Wahl der Stadtverordneten und Ausschuß- 
personen, Ermächtigung der Stadt Gem, über Beibehaltung 
oder Bescitigung des Dualismus in der Vertretung und Ber- 
waltung selbst zu bestimmen, Bildung von Bezirks Gem, 
wenn einzelne Gem zur Erfüllung ihrer Aufgaben außer- 
stande seien. 
Die Wünsche wurden dem Landtage unter- 
breitet und von diesem nach einer vorläufigen 
Beratung mit einigen Aenderungen der Regie- 
rung zur Berücksichtigung überwiesen. Letztere 
ließ darauf am 3. 1. 72 der II. Kammer die Ent- 
würfe zu 1. einer revidierten Städtcordnung, 
2. einer Städteordnung für mittlere und kleine 
Städte und 3. einer revidierten Landgemeinde- 
ordnung zugehen. Einleitend führte sic hiezu aus, 
daß der Wunsch nach einem weiteren Ausbau der 
Gen Verfassungen begründet erschienen sei. Ins- 
besondere golte dies auch für die Land Gem. Nach- 
dem diesen durch die Einführung der Gewerbe- 
freiheit zahlreiche Mitglieder mit erhöhter Bildung 
zuge führt worden seien, sei es unbedenklich, ihre 
Selbstverwaltung erheblich zu erweitern. Man 
habe sogar erwogen, die Verhältnisse beider Gem- 
Arten einheitlich zu regeln, sei jedoch zu der Ueber- 
zeugung gelangt, daß trotz aller Ausgleichungen, 
die durch die Freiheit in Handel und Gewerbe, 
durch die fortschreitende Schulbildung und die 
Teilnahme am politischen Leben bewirkt worden 
seien, immer noch charakteristische Unterschiede 
zwischen Stadt und Land beständen, die eine 
gleichmäßige Gestaltung der Gem Vertretungen
	        
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