Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

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Gemeinde (III. 
Organisation) 
  
eckt wird. Mitglieder des Stadtrats und be- 
oldete Gem Beamte können die Wahl erst nach 
Niederlegung ihres Amtes annehmen. Oeffent- 
liche und Hofbeamte, Geistliche, Lehrer an öffent- 
lichen Schulen und aktive Militärs bedürfen zur 
Annahme der Genehmigung ihrer Vorgesetzten, 
die jedoch ohne erhebliche, im Wesen des Amtes 
beruhende und dem Stadtrat mitzuteilende 
Gründe nicht verweigert werden darf. Das Wahl- 
geschäft (Aufstellung, Auslegung und Schließung 
der Listen der Stimmberechtigten und Wählbaren, 
Entscheidung über Einsprüche gegen die Listen, 
Bekanntmachung und Leitung der Wahl, Veröf- 
fentlichung des Ergebnisses) wird durch den Stadt- 
rat besorgt, doch sind bei Abgabe und Zählung der 
Stimmen Wahlgehilfen zuzuziehen, die die Stadt- 
verordneten aus ihrer Mitte oder aus anderen 
Stimmberechtigten ernennen. Die Wahl erfolgt 
durch Stimmzettel, die uneröffnet in ein ver- 
schlossenes Behältnis zu legen sind; berücksichtigt 
werden nur die Namen deutlich bezeichneter, 
wählbarer Personen; sind zuviel Namen angege- 
ben, so bleiben die letzten außer Betracht. Ge- 
wählt ist, wer die relative Mehrheit der abge- 
gebenen Stimmen erhält; bei Stimmengleichheit 
Entscheidung durch das Los. Einwendungen 
gegen das Wahlverfahren nur binnen drei Wochen 
nach der Stimmenauszählung; der Kreishaupt- 
mann kann die Ungültigkeit der Wahl aussprechen. 
Sinkt mangels genügender Ersatzmänner die Zahl 
durch außerordentliches Ausscheiden (Tod, Aus- 
scheiden wegen Verlusts der Stimmberechtigung 
oder Wählbarkeit, Niederlegung des Amtes bei 
Eintritt von Ablehnungsgründen) unter ¾ der 
Ansässigen oder Unansässigen, so findet auf Grund 
der letzten Listen Ergänzungswahl für den Rest 
der Amtsdauer der Ausgeschiedenen statt. Orts- 
statutarisch können für die Wahl Besonderheiten 
vorgeschrieben werden, insbesondere: Einteilung 
des Gem Bezirkes in Wahlbezirke und Verteilung 
der Zahl der zu Wählenden auf diese Bezirke, 
Einteilung der Bürgerschaft in gewisse Klassen und 
Vornahme der Wahl in der Weise, daß sie in jeder 
dieser Klassen und in jedem Bezirk für einen be- 
stimmten Teil der zu Wählenden besonders er- 
folgt. (Vgl. z. B. 14. Nachtrag zum Dresdner 
Ortsstatut v. 15. 7. 05, wonach die stimmberech- 
tigten Bürger nach ihrem Beruf in 5 Abteilungen 
zerfallen, innerhalb deren wieder die Bürger mit 
mindestens 10jährigem Bürgerrechte Klasse I, 
die übrigen Klasse II bilden: jede Abteilung und 
Klasse wählt eine bestimmte Anzahl Ansässige und 
Unansässige. — Ortsstatut für die Stadt Leipzig 
in der Fassung v. 23. 10. 09, das die stimmberech- 
tigten Bürger nach Maßgabe der von ihnen zu 
entrichtenden direkten Gem Steuern in 3 Abtei- 
lungen teilt, deren jede ein Drittel der Stadt- 
verordneten, je zur Hälfte Ansässige und Unan- 
saässige wählt; überdies Einteilung der Stadt in 
Wahlbezirke mit beschränkter Verteilung der zu 
Wählenden. Ausgesprochener Zweck solcher be- 
  
sonderen Regelungen ist das Bestreben, das Ueber- 
gewicht einer bestimmten wirtschaftlichen oder 
politischen Partei zu verhindern). 
vb) Geschäftsführung. Die Stadt- 
verordneten wählen alljährlich aus ihrer Mitte 
einen Vorsteher und einen oder mehrere Stell- 
vertreter. Sie können eine Geschäftsordnung 
(in Leipzig nach der Gesch O v. 28. 12. 066: Ord- 
hungsrufs, Wortentziehung, Geldstrafe, Rüge in 
öffentlicher Sitzung) bedrohen, deren Vollstreckung 
dem Stadtrat obliegt. Die Beschlußfassung er- 
folgt in öffentlicher Sitzung (Ausnahmen zu- 
lässig) mit einfacher Stimmenmehrheit bei #8 An- 
wesenheit; letzteres Erfordernis entfällt nach 
zweimal aufeinanderfolgender Beschlußunfähig- 
keit. Beschlüsse sind zu protokollieren und dem 
Stadtrat alsbald mitzuteilen. Dieser ist zur Teil- 
nahme an den Sitzungen berechtigt und auf Ver- 
langen der Stadtverordneten zur Abordnung 
eines Mitgliedes verpflichtet; die Tagesordnung 
ist ihm vorher mitzuteilen. Aus Gründen erheb- 
lichen öffentlichen Interesses können die Stadt- 
verordneten vom Min Inn aufgelöst werden; 
die Neuwahl ist innerhalb 3 Monaten anzuordnen. 
In allen Angelegenheiten, in denen der Stadtrat 
der Mitentschließung der Stadtverordneten be- 
darf, kann jedes der beiden Kollegien gemein- 
schaftliche Sitzungen verlangen, die unter Leitung 
des Ratsvorsitzenden stattfinden; die Beratung 
erfolgt gemeinsam, die Beschlußfassung getrennt 
(zuerst Abstimmung der Stadtverordneten); die 
Sitzungen sind regelmäßig öffentlich, das Nähere 
bestimmt eine von beiden Kollegien gemeinschaft- 
lich aufzustellende Geschäftsordnung. 
c) Wirkungskreis. Die Stadtverordne- 
ten bilden die Vertretung des Gem Volkes gegen- 
über dem Stadtrat und sind im wesentlichen mit 
2 Befugnissen ausgestattet: Ueberwachung der 
dem Stadtrat obliegenden Gem Verwaltung durch 
Akteneinsicht und Rechnungsprüfung und Be- 
schränkung des Stadtrats durch ein ihnen vorbe- 
haltenes Zustimmungsrecht zu seinen Beschlüssen 
über folgende Angelegenheiten: Errichtung und 
Aenderung des Ortsstatuts sowie andrer statu- 
tarischer Bestimmungen, Abänderung des Gem- 
Bezirkes, Feststellung und Aenderung des Gem- 
Haushaltplanes, Verminderung oder Aenderung 
des Gem Vermögens, Erwerb oder Veräußerung 
von Grundstücken und Gerechtsamen, Uebernahme 
bleibender Verbindlichkeiten und Vermehrung der 
Gem Schulden, Auflegung neuer Gem Leistungen 
und Feststellung des Anlage fußes, Bewirtschaftung 
von Gem Grundstücken und Benutzung von Ge- 
rechtsamen, sofern eine Aenderung der bisherigen 
Wirtschafts= und Nutzungsweise bezweckt wird, 
Eingehung von Prozessen und Abschließung von 
Vergleichen bei Streitgegenständen von über 
150 Mk. Wert, sofern es sich nicht bloß um Geltend- 
machung unbezweifelter Rechte handelt, Erlasse, 
mit Ausnahme von Strasgeldern und Kosten 
Verleihung des Ehrenbürgerrechts, Verzicht auf 
Bürgernutzungen, Instruktionen der Bezirksvor- 
steher (§ 5) und Gestattung eines Nebenerwerbs 
besoldeter Ratsmitglieder. Hierzu kommen als 
weitere Befugnisse: das Recht, unaufgefordert Be- 
schwerden, Wahrnehmungen und Vorschläge zum 
Besten der Stadt an den Stadtrat gelangen zu 
lassen und Entschließung unter Angabe von Grün- 
den zu fordern; das Recht, im Interesse der Stadt 
unmittelbar die höheren Behörden anzugehen und 
bei drohenden Rechtsstreitigkeiten zwischen Stadt 
und Stadtrat zur Vertretung der Gemeinde einen 
Aktor zu bestellen (Beschlußfassung in Abwesenheit 
des Stadtrats); der Anspruch auf gutachtliches Ge- 
hör bei Erlaß allgemeiner polizeilicher Regulative, 
aufstellen und Zuwiderhandlungen mit Strafen sofern sie mehr als die bloße Ausführung gesetz-
	        
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