Württemberg
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stimmungen bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben
mitzuwirken. Hier kommt seine Tätigkeit als
Gem Gericht, Schätzungsbehörde, Inventurbehör-
de, Waisenrat, Hinterlegungsstelle beispielsweise
in Betracht. Die überwachende Tätigkeit des
Bürgerausschusses besteht hauptsächlich in der
Ueberwachung des Gempaushalts nach dem
Voranschlag, und der Durchsicht der Jahresrech=
nungen, in dem Recht der Beschwerdeführung
über Gem Rat und Gem Beamte, die Mitverwal-
tung zeigt sich bei Beschlüssen über die Verände-
rung des Gem Bezirkes, die Regelung der öffent-
lichen Abgaben und Gebühren, über Schuldauf-
nahmen, Grundstocksangriffe, Waldausstockungen,
Erwerbung von Grundeigentum, wenn der Wert
eine gewisse Höhe (3000, 2000, 1000 Mk.) über-
steigt, Uebernahme bleibender Haftverbindlich-
keiten, Errichtung neuer Gem Aemter, Regelung
der Beamtengehalte, Nachlässe und Freigebig-
keitsleistungen: außerdem hat der Bürgerausschuß
ein allgemeines Recht der Initiative. Eine be-
sondere Stellung als Organ der Gem nimmt der
Ortsvorsteher ein. Er ist nicht bloß Vor-
sitzender des Gem Rats, der als solcher dessen Ge-
schäftsleitung hat und ihn nach außen hin vertritt,
sondern auch Leiter der gesamten Gem Verwal-
tung, der alle eine kollegiale Beschlußfassung, ins-
besondere eine sachliche Entschließung nicht er-
fordernden Geschäfte erledigt, die den Gem ge-
setzlich überlassene Ortspolizei in eigener Zu-
ständigkeit regelmäßig ohne Mitwirkung des
Gemats verwaltet und weiterhin das subsidiäre
unterste Staatsorgan, das alle örtlichen Ge-
schäfte der allgemeinen Staatsverwaltung voll-
zieht, soweit hierfür nicht besondere Behörden.
bestimmt sind. In letzterer Eigenschaft ist der
Ortsvorsteher namentlich Standesbeamter, Voll-
streckungsbeamter, Hilfsbeamter der Staatsan-
waltschaft, Sühnebeamter, Beamter für die Ein-
kommensteuer, örtlicher Beamter für die Arbeiter-
versicherung; auf die Mitwirkung des Ortsvor-
stehers in staatlichen Angelegenheiten besteht
teilweise ein Anspruch der Gem, die Mitwirkung
ist eine Pflicht des Ortsvorstehers und erfolgt
ohne Entgelt aus der Staatskasse, ist somit eng
verbunden mit der Gen Verwaltung.
schläge können so verbunden werden, daß sie ge-
genüber andern als ein Vorschlag erscheinen),
der freien Listen (der Wähler kann die zu
Wählenden aus verschiedenen Vorschlägen ent-
nehmen, „panachieren“ und sog. Wilde wählen),
der beschränkten Stimmenhäufung
(bis zu 3 Stimmen). Die Verteilung der Stellen
erfolgt nach dem belgischen Verfahren; die Ge-
samtzahl der auf einen Wahlvorschlag gefallenen
Stimmen wird der Reihe nach durch 1, 2, 3 usw.
geteilt, von den dabei gefundenen Zahlen werden
so viele Höchstzahlen ausgesondert und der Größe
nach geordnet, als Mitglieder zu wählen sind,
jedem Wahlvorschlag werden so viele Stellen
zugewiesen, als Höchstzahlen auf ihn fallen. Die
Verteilung der Stellen auf die einzelnen Wahl-
vorschläge erfolgt nach Maßgabe der Stimmenzahl.
Die Mitglieder des Gemats beziehen als
solche keinen Gehalt, sie haben jedoch als Ent-
schädigung für Zeitversäumnis, wenn dies in
Gem erster Klasse nicht durch Gem Satzung aus-
geschlossen und in kleineren Gem durch Satzung
bestimmt wird, Taggelder im Höchstbetrag von
5 Mk., 10 Mk. (mittlere Städte), 15 Mk. (große
Städte). Der Gem Rat kann sich nur auf Beru-
sung des Vorsitzenden versammeln und verhandelt
regelmäßig in öffentlicher Sitzung.
——
#53. Organisation im einzelnen. Nach diesem
allgemeinen Zuständigkeitskreis gliedern sich die
Organe der Gem in
a) Gemeinderat, bestehend aus dem
Ortsvorsteher als Vorsitzendem und 4 bis 42 wei-
teren Mitgliedern je nach der Größe der Gem.
Die Mitglieder werden von den wahlberechtigten
Bürgern aus ihrer Mitte auf 6 Jahre regelmäßig
im Dezember durch unmittelbarc geheime Stimm-
abgabe in der Art gewählt, daß je nach 2 Jahren
ein Dritteil ausscheidet und durch neue Wahl er-
setzt wird. Bei der Wahl entscheidet die verhält-
nismäßige Stimmenmehrheit und bei Stimmen-
gleichheit das Los. In großen und mittleren
Städten erfolgt die Wahl nach dem Grundsatz
der verhältnismäßigen Vertretung der Wähler
(Proportionalwahl).
Das Abstimmungsverfahren erfolgt hierbei
nach dem System der konkurrierenden
Listen (die Abstimmung geschieht nicht nur für
eine bestimmte Person, sondern gleichzeitig für
den Wahlvorschlag einer Wählervereinigung),
der Listenkoppelung (mehrere Wahlvor-
b) Bürgerausschufß. Die Zahl der Mit-
glieder ist so groß, wie diejenige des Gem Rats
einschließlich des Ortsvorstehers. Die Wahl er-
folgt in gleicher Weise wie beim GemRat, jedoch
nur auf die Dauer von 4 Jahren. Die Mitglieder
des Gemats sind vom Eintritt in den Bürger-
ausschuß ausgeschlossen und erhalten als solche
keinen Gehalt. Bezüglich der Taggelder sind sie
den Gemzatsmitgliedern gleichgestellt. Der Bür-
gerausschuß wählt aus seiner Mitte einen Ob-
mann. Diejenigen Gegenstände, bei denen die
Beschlüsse des Gem Rats der Zustimmung des
Bürgerausschusses bedürfen, sind in der Regel
zunächst in gemeinsamer Sitzung beider Kollegien
zu beraten, die Beschlußfassung erfolgt in abge-
sonderter Abstimmung. Besteht eine Meinungs-
verschiedenheit zwischen den beiden Kollegien, so
ist, wenn der Gem-Rat es beschließt, eine Ab-
stimmung des vereinigten Kollegiums ohne Un-
terscheidung der jedem Kollegium zugehörigen
Stimmen (Durchzählung) herbeizuführen. Bei
dieser Abstimmung steht sowohl dem Ortsvorsteher
als dem Obmann des Bürgerausschusses eine
Stimme zu, bei Stimmengleichheit ist der Be-
schluß als nicht zustande gekommen zu betrachten.
c) Ortsvorsteher. Die Besonderheit in
Württemberg besteht darin, daß der Ortsvor-
steher von den wahlberechtigten Gem Bürgern
unmittelbar in geheimer Wahl gewählt wird, die
frühere lebenslängliche Amtsdauer ist nach wechsel-
vollen Verhandlungen in der Gem Ordnung für
die vor der Verkündigung des Gesetzes gewählten
Ortsvorsteher erhalten geblieben, für die nachher
gewählten Ortsvorsteher auf einen Zeitraum
von 10 Jahren eingeschränkt worden. Wählbar
ist jeder Deutsche nach Zurücklegung des 25.
Lebensjahres, sofern nicht die auch den Ausschluß
von sonstigen Gem Wahlen herbeiführenden
Gründe zutreffen, von dem Alterserfordernis ist
eine Entbindungsmöglichkeit vorgesehen. Die
Wahl bedarf der Bestätigung durch die Kreisregie-
rung, in großen Städten durch den König; die