Posen
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tungen muß daher die wechselnde Stellung der
Regierung zur Polenfrage kurz behandelt werden.
Von den Erwerbungen der ersten beiden pol-
nischen Teilungen (1772 und 1793) waren u. a.
der Netzedistrikt und Südpreußen 1807 mit dem
Großherzogtum Warschau vereinigt worden. Als
diese Landesteile 1815 in verringertem Umfange
an Preußen zurückfielen, wurde aus ihnen die
Provinz P. gebildet. In dem Besitznahmepatent
vom 15. 5. 1815 echielt die Provinz den Namen
„Großherzogtum“ P. Seit 1848 ist die Bezeich-
nung Großherzogtum im amtlichen Verkehr und
in der Gesetzgebung mehr und mehr außer Ge-
brauch gekommen; endgültig beseitigt ist sie durch
das LV für P. von 1889, da dieses nur no
eine „Provinz“ P. kennt. Die Verwaltung von
P. wurde in derselben Weise eingerichtet wie die
der übrigen preußischen Provinzen: an ihre Spitze
trat ein Oberpräsident, in Posen und Bromberg
wurden Bezirksregierungen errichtet, die Verwal-
tung der Kreise wurde Landräten übertragen.
Anders war dagegen die Organisation der länd-
lichen Ortspolizei. Hier blieben die durch ein
Warschauer Gesetz vom 23. 2. 1809 (Laube Ges.
Sammlung d. vormaligen Herzogtums Warschau
1, 187) eingerichteten Woytämter bestehen. Ihre
Verwaltung wurde durch Kab O vom 16. 4. 1823
(Kamptz Annalen 7, 317) den Gutsherren über-
tragen.
Eine Besonderheit bedeuteten namentlich die
im Interesse der polnischen Bevölkerung getroffe-
nen Einrichtungen. In der Person des Fürsten
Radziwill erhielt P. einen Statthalter polnischen
Blutes. Die polnische und die deutsche Sprache
wurden amtlich gleichgestellt [/ Geschäftssprachel,
was tatsächlich die Vorherrschaft der polnischen
bedeutete. Die preußische Gesetzsammlung und
die Amtsblätter der beiden Bezirksregierungen
wurden für P. zweisprachig herausgegeben.
Unter den Landräten der Provinz waren nur
4 Deutsche. Die Errichtung zahlreicher Volks-
schulen, deren Unterrichtssprache vorwiegend
polnisch war, bedeutete eine starke Förderung
des Polentums.
Die Befreiung der durch den polnischen Adel
geknechteten Bauern wurde energisch und in
einer den Bauern günstigeren Weise durchge führt
als in den alten Provinzen. Die Grenzen der
Regulierbarkeit wurden weiter gezogen. Das in
den andern Provinzen beseitigte Verbot des
Bauernlegens wurde hier eingeführt. Die Bauern.
brauchten den Gutsherren kein Land abzutreten;
die Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Ver-
hältnisse wurde hier von Amts wegen, nicht erst
auf Antrag der Beteiligten, durchgeführt. I Agrar-
gesetzgebungl. Die Verluste an Bauernland sind
daher viel geringer gewesen, als in den andern
Provinzen: das kräftige polnische Bauerntum ver-
dankt seine Erhaltung der preußischen Regierung.
Die Kommunalverwaltung wurde, ebenso wie
in den übrigen Provinzen, auf ständischer Grund-
lage eingerichtet. Das G v. 27. 3. 1824 gewährte
den damals überwiegend polnischen Ritterguts-
besitzern die Hälfte, zwei spätere Kgl Verordnungen
noch zwei weitere Stimmen in der Provinzial-
vertretung; in den durch die Kr O v. 1822 ein-
gerichteten Kreisständen hatte die mit Virilstim-
men berechtigte Ritterschaft auch fast überall die
absolute Mehrheit. I Provinzen, Kreisel.
Der polnische Aufstand der Jahre 1830 und 31
hatte eine Wendung in der preußischen Polen-
politik zur Folge. Da die polnischen Landräte
sich unzuverlässig gezeigt hatten, wurde das Recht
der Kreisstände, den Landrat aus dem Stande der
Rittergutsbesitzer zu wählen, im Jahre 1833 sus-
pendiert und die Ernennung dem Könige vorbe-
halten. Der Gebrauch der polnischen Sprache in
Rechtsprechung und Verwaltung und im Unter-
richt wurde eingeschränkt. Auf Veranlassung des
Oberpräsidenten von Flottwell wurde eine Anzahl
polnischer Güter in der Zwangsversteigerung
vom Staate angekauft und an deutsche Erwerber
weiter gegeben. Für die Verwaltung der Orts-
polizei wurden unter Aufhebung der Woytämter
durch KabO v. 10. 12. 36 Berufsbeamte, die
Distriktskommissarien lunten 9 2) bestellt.
Eine Zeit des Schwankens begann 1840 mit
dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV.
Die Flottwellsche Landpolitik wurde eingestellt;
die den Gebrauch des Polnischen im amtlichen Ver-
kehr einschränkenden Vorschriften wurden beseitigt.
Obwohl die Instr v. 20. 5. 42 der deutschen
Sprache im Schulunterricht theoretisch ein ge-
wisses Uebergewicht gab, hat doch die Praxis der
Schulverwaltung infolge der Tätigkeit der zu
Ortsschulinspektoren bestellten polnischen Pröpste
und der katholischen Abteilung des Kultus Min
eine Reihe rein deutscher Gemeinden in polnische
verwandelt. Nach dem polnischen Aufstande von
1846 und 1848 neigte die Reg Politik wieder
deutschfreundlicheren Maßregeln zu; eine ent-
schlossene Förderung des Deutschtums beginnt
jedoch erst 1872, unterbrochen nur durch die kurze
„Versöhnungspolitik“ von 1892 bis 1896.
Die Kr O von 1872, deren Einführung in P.
durch Kgl Verordnung vorgesehen war, wurde
auf P. nicht ausgedehnt. Maßgebend war hierfür
die Besorgnis, daß die in vielen Kreistagen dank
dem Uebergang polnischer Rittergüter in deutsche
Hände gewonnene deutsche Mehrheit bei einer
Aenderung der Kreisverfassung wieder verloren
gehen und die noch ziemlich tief stehende polnische
Landbevölkerung einen zu großen Einfluß auf die
Kreisverwaltung erlangen würde. Infolgedessen
wurde auch die Prov O von 1875 in P. nicht ein-
geführt. Auch das Zust G und das LVe- von 1883
traten für P. zunächst nicht in Kraft; eingeführt
sind sie hier erst mit einer Reihe von Abänderungen
durch das LV für P. v. 19. 5. 89 (GS 108).
Der schon vorher im Verw Wege stark einge-
schränkte Gebrauch der polnischen Sprache als
Amtssprache wurde durch das G v. 28. 8. 76
über die Geschäftssprache ( beseitigt. Die
polnische Unterrichtssprache wurde seit 1873
schrittweise eingeschränkt.
Der Fortschritt der im Jahre 1886 begonnenen
ländlichen Ansiedlungspolitik (f Ansiede-
lung] machte eine Aenderung des Wahlrechts
zur Kreis= und Provinzialvertretung notwendig.
Da der Staat im Stande der Ritterschaft nicht
stimmberechtigt war und den Landgemeinden
regelmäßig nur 3 Stimmen im Kreistage zustan-
den, hatte der Ankauf deutscher Rittergüter durch
den Fiskus, mochte er zur Vermehrung des Do-
mänenbesitzes oder zur Besiedelung dienen,
einen fortgesetzten Verlust deutscher Stimmen in
den Kreisvertretungen zur Folge. Um dieser dem
Zwecke der Ansiedelungsgesetzgebung widerspre-