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Prisenangelegenheiten
sind, z. B. auf die bei der Wegnahme an Bord
gefundenen Schiffspapiere. In rechtlicher Be-
ziehung ist das Landesrecht maßgebend, und zwar
möglicherweise in der Art, daß es gar nicht darauf
ankommt, ob es mit anerkannten Grundsätzen des
Völkerrechts im Einklang steht oder nicht. Aller-
dings macht eine völlerrechtswidrige Entscheidung
den Nehmestaat immer verantwortlich; die neu-
trale Regierung wird pflichtmäßig für die Interes-
sen ihrer verletzten Untertanen auf diplomati-
schem Wege durch Reklamation, eventuell durch
Repressalien [N eintreten und Genugtuung und
Schadenersatz fordern; im übrigen setzt sich der
Nehmestaat jedenfalls der Retorsion (N aus.
Im ganzen ist in dieser Materie davon auszu-
ehen, daß der Zweck der prisenrechtlichen
Funiz auch den nationalen Gerichten die gewissen-
hafte Berücksichtigung anerkannter Völkerrechts-
sätze auferlegt. Demgegenüber sucht die neue
Einrichtung den Prisensachen außer einer unpar-
teiischen Rechtsprechung auf Grund eines geord-
neten internationalen Verfahrens auch
eine Rechtsanwendung auf den Tatbestand des
einzelnen Streitfalls zu sichern, die den Wider-
streit des Urteils mit anerkannten
Grundsätzen des Völkerrechts aus-
schließen soll. a 7 d. Abk. regelt diese Frage
in folgender Weise: in erster Reihe entscheidet
der internationale Vertrag (Einzelvertrag) des
Nehmestaats und derjenigen Macht, die selbst
oder von der ein Angehöriger Partei ist, wenn
die zu entscheidende Rechtsfrage in diesem Ver-
trage (z. B. in einem Vertrage über die als Kon-
terbande zu behandelnden Gegenstände usw.) vor-
gesehen ist; in Ermangelung solcher Bestimmun-
gen wendet das Prisengericht die Regeln
des internationalen Rechts an.
Da bei der Unvollständigkeit der völkerrechtlichen
Ordnung des Seekriegsrechts Lücken des anzu-
wendenden internationalen Rechts hervortreten
können, ist das Prisengericht auf die allgemei-
nen Grundsätze der Gerechtigkeit
und Billigkeit (a 7 Abs 3) verwiesen.
Der in Abs 3 des a 7 der Sache nach zum Aus-
druck gebrachte Standpunkt der sog. freien
Rechtsfindung erweckte alsbald nach der
Konferenz in der Doktrin und bei den beteiligten
Staaten Bedenken. Insbesondere kam in Eng-
land die Meinung zur Geltung, daß die Ratifi-
kation des Abk. XII insolange unmöglich sei, als
nicht auf kollektivem Wege seitens der Mächte die
Kodifikation der hier einschlägigen Rechtssätze des
Seekriegsrechts durchgeführt ist. Diese Erwä-
gungen veranlaßten die englische Regierung, den
Konferenzmächten die Einberufung einer Kon-
serenz zur Kodifikation des Seekriegsrechts zu
empfehlen. Die Konferenz trat 1908 in London
zusammen. Das Ergebnis der Verhandlungen
ist die in den obigen Ausführungen schon ver-
wertete Deklaration v. 26. 2. 09. Damit ist den
prisenrechtlichen Entscheidungen fortan eine sichere
Grundlage bezüglich des anzuwendenden inter-
nationalen Rechts geboten.
8 10. Das Verfahren nach dem Abkommen
XII von 1907. Jede Prisensache ist in erster In-
stanz durch ein nationales Prisengericht zu ent-
scheiden; die unmittelbare Anrufung des ständi-
gen Prisenhofs kann nur eintreten, wenn die na-
der Wegnahme keine endgültige Entscheidung ge-
fällt habten. Das nationale Prisenverfahren darf
nur 2 Instanzen haben. —
Der Prisenhof besteht aus Richtern und
Richterstellvertretern; für die Auswahl ist die zuri-
stische Natur der Aufgabe der Richter entscheidend.
Die Streitteile haben aber das Recht, zu den Ver-
handlungen einen höheren Seeoffizier, jedoch
nur mit beratender Stimme, beizuziehen. —
Der Hof hat seinen ständigen Sitz im Haag;
die Kanzleiarbeiten besorgt das Internatio-
nale Bureau im Haag; dem interna-
tionalen Verwaltungsrat im Haag kommen gegen-
Über dem Prisenhof dieselben Funktionen zu wie
gegenüber dem ständigen Schiedshof. — Das
erfahren ist in den a 28—50 geregelt. — Die
Zuständigkeit des Prisenhofs ist in der Art
eregelt, daß die Entscheidungen der nationalen
risengerichte über neutrale Prisen stets,
über feindliche nur in den Fällen des a 3
Ziff. 2 mittels Rekurses angefochten werden
können. —
Die Wirkungen der Urteile des Prisenhofs sind
verschieden; der Prisenhof kann die Wegnahme
für legal oder für nichtig erklären. Im ersteren
Falle ist mit Schiff und Ladung nach den Ge-
setzen des Nehmestaats zu verfahren; im letzteren
Fall verfügt der Prisenhof die Restitution von
Schiff oder Ladung und entscheidet über den
Schadenersatzanspruch (und zwar auch dann, wenn
die Prise verkauft oder zerstört worden ist). —
Die Signatarmächte übernehmen die Pflicht, sich
den Urteilen des Prisenhofs nach Treu und Glau-
ben zu unterwerfen und ihnen in möglichst kurzer
Frist nachzukommen.
& 11. Die Schadenersatzfrage in Prisensachen.
Durch die LD ist der Kreis der Rechte und Pflich-
ten der Kriegführenden und Neutralen nicht nur
überhaupt umschrieben; es sind auch gleichzeitig
die rechtlichen Folgen der FPflichtver-
letzung des einen Teils gegenüber dem anderen
normiert: für die Neutralen durch die Zulässig-
keit der Beschlagnahme und der eventuellen Ent-
ziehung von Schiff und Ware, für die Kriegfüh-
renden durch die förmliche Anerkennung der
Restitutions= und Schadensersatzpflicht in a 64.
Durch die Schaffung des internationalen Prisen-
hofs ist überdies die Möglichkeit gegeben, Rechts-
ansprüche durch Prozeß und Urteil, d. i. auf dem
normalen Wege einer ausgebildeten Rechtsord-
nung, geltend zu machen. Eine richtige juristische
Würdigung der 2, insbes. des a 64 über die
Schadensersatzpflicht der Kriegführenden gegen-
über den Neutralen, und des Abkommens XlI
der HK über die Errichtung des internationalen
Prisenhofs wird deren hohen rechtlichen und
rechtspolitischen Wert gerade in dem positiv-
rechtlichen Ausbau der ganzen Materie er-
kennen. — Daß die in a 64 normierte Sanktion der
Erfüllung der Pflichten der Kriegführenden auch
motivierende Kraft für das praktische Verhalten
der Kriegführenden in der Richtung der genannten
Einhaltung der Grenzen ihrer rechtlichen Freiheit
im Kriege besitzt, ist eine nicht zu unterschätzende
Wirkung, die allen mit Rechtssanktionen versehe-
nen Normen eigen ist.
a 64 normiert nicht nur jene Fälle, in denen
Ersatzansprüche auf dem Wege des Prisen-
tionalen Prisengerichte binnen 2 Jahren nach prozesses geltend gemacht werden, d. h. die