Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Prisenangelegenheiten 
  
sind, z. B. auf die bei der Wegnahme an Bord 
gefundenen Schiffspapiere. In rechtlicher Be- 
ziehung ist das Landesrecht maßgebend, und zwar 
möglicherweise in der Art, daß es gar nicht darauf 
ankommt, ob es mit anerkannten Grundsätzen des 
Völkerrechts im Einklang steht oder nicht. Aller- 
dings macht eine völlerrechtswidrige Entscheidung 
den Nehmestaat immer verantwortlich; die neu- 
trale Regierung wird pflichtmäßig für die Interes- 
sen ihrer verletzten Untertanen auf diplomati- 
schem Wege durch Reklamation, eventuell durch 
Repressalien [N eintreten und Genugtuung und 
Schadenersatz fordern; im übrigen setzt sich der 
Nehmestaat jedenfalls der Retorsion (N aus. 
Im ganzen ist in dieser Materie davon auszu- 
ehen, daß der Zweck der prisenrechtlichen 
Funiz auch den nationalen Gerichten die gewissen- 
hafte Berücksichtigung anerkannter Völkerrechts- 
sätze auferlegt. Demgegenüber sucht die neue 
Einrichtung den Prisensachen außer einer unpar- 
teiischen Rechtsprechung auf Grund eines geord- 
neten internationalen Verfahrens auch 
eine Rechtsanwendung auf den Tatbestand des 
einzelnen Streitfalls zu sichern, die den Wider- 
streit des Urteils mit anerkannten 
Grundsätzen des Völkerrechts aus- 
schließen soll. a 7 d. Abk. regelt diese Frage 
in folgender Weise: in erster Reihe entscheidet 
der internationale Vertrag (Einzelvertrag) des 
Nehmestaats und derjenigen Macht, die selbst 
oder von der ein Angehöriger Partei ist, wenn 
die zu entscheidende Rechtsfrage in diesem Ver- 
trage (z. B. in einem Vertrage über die als Kon- 
terbande zu behandelnden Gegenstände usw.) vor- 
gesehen ist; in Ermangelung solcher Bestimmun- 
gen wendet das Prisengericht die Regeln 
des internationalen Rechts an. 
Da bei der Unvollständigkeit der völkerrechtlichen 
Ordnung des Seekriegsrechts Lücken des anzu- 
wendenden internationalen Rechts hervortreten 
können, ist das Prisengericht auf die allgemei- 
nen Grundsätze der Gerechtigkeit 
und Billigkeit (a 7 Abs 3) verwiesen. 
Der in Abs 3 des a 7 der Sache nach zum Aus- 
druck gebrachte Standpunkt der sog. freien 
Rechtsfindung erweckte alsbald nach der 
Konferenz in der Doktrin und bei den beteiligten 
Staaten Bedenken. Insbesondere kam in Eng- 
land die Meinung zur Geltung, daß die Ratifi- 
kation des Abk. XII insolange unmöglich sei, als 
nicht auf kollektivem Wege seitens der Mächte die 
Kodifikation der hier einschlägigen Rechtssätze des 
Seekriegsrechts durchgeführt ist. Diese Erwä- 
gungen veranlaßten die englische Regierung, den 
Konferenzmächten die Einberufung einer Kon- 
serenz zur Kodifikation des Seekriegsrechts zu 
empfehlen. Die Konferenz trat 1908 in London 
zusammen. Das Ergebnis der Verhandlungen 
ist die in den obigen Ausführungen schon ver- 
wertete Deklaration v. 26. 2. 09. Damit ist den 
prisenrechtlichen Entscheidungen fortan eine sichere 
Grundlage bezüglich des anzuwendenden inter- 
nationalen Rechts geboten. 
8 10. Das Verfahren nach dem Abkommen 
XII von 1907. Jede Prisensache ist in erster In- 
stanz durch ein nationales Prisengericht zu ent- 
scheiden; die unmittelbare Anrufung des ständi- 
gen Prisenhofs kann nur eintreten, wenn die na- 
  
der Wegnahme keine endgültige Entscheidung ge- 
fällt habten. Das nationale Prisenverfahren darf 
nur 2 Instanzen haben. — 
Der Prisenhof besteht aus Richtern und 
Richterstellvertretern; für die Auswahl ist die zuri- 
stische Natur der Aufgabe der Richter entscheidend. 
Die Streitteile haben aber das Recht, zu den Ver- 
handlungen einen höheren Seeoffizier, jedoch 
nur mit beratender Stimme, beizuziehen. — 
Der Hof hat seinen ständigen Sitz im Haag; 
die Kanzleiarbeiten besorgt das Internatio- 
nale Bureau im Haag; dem interna- 
tionalen Verwaltungsrat im Haag kommen gegen- 
Über dem Prisenhof dieselben Funktionen zu wie 
gegenüber dem ständigen Schiedshof. — Das 
erfahren ist in den a 28—50 geregelt. — Die 
Zuständigkeit des Prisenhofs ist in der Art 
eregelt, daß die Entscheidungen der nationalen 
risengerichte über neutrale Prisen stets, 
über feindliche nur in den Fällen des a 3 
Ziff. 2 mittels Rekurses angefochten werden 
können. — 
Die Wirkungen der Urteile des Prisenhofs sind 
verschieden; der Prisenhof kann die Wegnahme 
für legal oder für nichtig erklären. Im ersteren 
Falle ist mit Schiff und Ladung nach den Ge- 
setzen des Nehmestaats zu verfahren; im letzteren 
Fall verfügt der Prisenhof die Restitution von 
Schiff oder Ladung und entscheidet über den 
Schadenersatzanspruch (und zwar auch dann, wenn 
die Prise verkauft oder zerstört worden ist). — 
Die Signatarmächte übernehmen die Pflicht, sich 
den Urteilen des Prisenhofs nach Treu und Glau- 
ben zu unterwerfen und ihnen in möglichst kurzer 
Frist nachzukommen. 
& 11. Die Schadenersatzfrage in Prisensachen. 
Durch die LD ist der Kreis der Rechte und Pflich- 
ten der Kriegführenden und Neutralen nicht nur 
überhaupt umschrieben; es sind auch gleichzeitig 
die rechtlichen Folgen der FPflichtver- 
letzung des einen Teils gegenüber dem anderen 
normiert: für die Neutralen durch die Zulässig- 
keit der Beschlagnahme und der eventuellen Ent- 
ziehung von Schiff und Ware, für die Kriegfüh- 
renden durch die förmliche Anerkennung der 
Restitutions= und Schadensersatzpflicht in a 64. 
Durch die Schaffung des internationalen Prisen- 
hofs ist überdies die Möglichkeit gegeben, Rechts- 
ansprüche durch Prozeß und Urteil, d. i. auf dem 
normalen Wege einer ausgebildeten Rechtsord- 
nung, geltend zu machen. Eine richtige juristische 
Würdigung der 2, insbes. des a 64 über die 
Schadensersatzpflicht der Kriegführenden gegen- 
über den Neutralen, und des Abkommens XlI 
der HK über die Errichtung des internationalen 
Prisenhofs wird deren hohen rechtlichen und 
rechtspolitischen Wert gerade in dem positiv- 
rechtlichen Ausbau der ganzen Materie er- 
kennen. — Daß die in a 64 normierte Sanktion der 
Erfüllung der Pflichten der Kriegführenden auch 
motivierende Kraft für das praktische Verhalten 
der Kriegführenden in der Richtung der genannten 
Einhaltung der Grenzen ihrer rechtlichen Freiheit 
im Kriege besitzt, ist eine nicht zu unterschätzende 
Wirkung, die allen mit Rechtssanktionen versehe- 
nen Normen eigen ist. 
a 64 normiert nicht nur jene Fälle, in denen 
Ersatzansprüche auf dem Wege des Prisen- 
tionalen Prisengerichte binnen 2 Jahren nach prozesses geltend gemacht werden, d. h. die
	        
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