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Verfassungsverletzung vor dem Staatsgerichtshof anzuklagen VU.
88 141—151. Als Vorbild für diese Einrichtung hat die Würt-
tembergische Verfassung (Württ. VU. §§ 195—205) gedient. Der
wichtigste Unterschied besteht darin, daß in Württemberg nicht
blos Minister vor dem Staatsgerichtshof angeklagt werden können
und daß die Anklage vor demselben nicht blos den Ständen zu-
steht, daß namentlich auch die Regierung zur Anklage der Stände-
mitglieder berechtigt ist.
In Sachsen kommt lediglich den Ständen das Recht zu, vor
dem Staatsgerichtshof anzuklagen, und nur ein Recht, die Minister
anzuklagen, und zwar wegen Umsturzes der Verfassung oder wegen
Verletzung einzelner Punkte derselben. Natürlich haben die Stände
dieses Recht auch dann, wenn sie die Verfassungsverletzung in
einem Königlichen Act finden, für welchen der Minister die Ver-
antwortlichkeit trägt. Durch die Reichsjustizgesetzgebung wurde
die Ministeranklage und der Staatsgerichtshof nicht beseitigt. Die
Einrichtung ist in Sachsen niemals praktisch geworden (in Württem-
berg ein einziges Mal) und es ist zu erwarten, daß sie es auch
niemals werden wird. Eine eingehende Darlegung ist daher
überflüssig.
Nur die Stände als solche d. h. die beiden Kammern in
Uebereinstimmung können einen Minister vor dem Staatsgerichts-
hof anklagen (Vll. § 141 dazu Landtagsordn. 88§ 15, 20).
Der Staatsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten und
12 Richtern; der Präsident und 6 Richter werden vom König
aus den Vorständen bezw. Mitgliedern der höheren Gerichte er-
nannt, 6 Richter und 4 Stellvertreter von den Ständen gewählt
(von jeder Kammer zur Hälfte). Die Mitglieder sollen immer
vorhanden sein; dies geschieht durch Bestellung je am Schlusse
eines ordentlichen Landtags. Constituirt wird aber das Gericht
nur im Fall einer wirklichen Ministeranklage und zwar auf eine
gemeinschaftliche Aufforderung der beiden Kammerpräsidenten an
den Präsidenten des Gerichtshofs (wenn § 145 der Vll. das
Gericht sich auch versammeln läßt auf Befehl des Königs, so hat
dies für die Anklage wegen Verfassungsverletzung keine Bedeu-
tung; in der Württ. Verfassung hat diese Veranlassung einen Sinn,
weil Ständemitglieder vor der Regierung angeklagt werden können).