Full text: Gesetzblatt für das Königreich Bayern. 1871-1872. (23)

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stücke findet nur auf Grund eines nach Anzeige 
der erfolgten Zurückbehaltung ergangenen förm— 
lichen richterlichen Beschlusses statt. 
Nach vollzogener Auslieferung ist die Eröff- 
nung des beschlagnahmten Poststückes je nach 
Lage der Sache von dem im Abs. 2 bezeichneten 
Richterbeamten im Beisein des Staatsanwaltes 
und, wenn möglich, des Angeschuldigten oder 
eines Vertreters desselben vorzunehmen. 
Ergeben sich bei der Eröffnung die vermutheten 
Beweise, so sind die betreffenden Briefe oder 
Ueberführungsgegenstände in den Gewahrsam des 
Gerichtes zu nehmen, andernfalls aber unter 
amtlichem Verschlusse und mit geeigneter amt- 
licher Bestätigung auf dem Poststücke selbst der 
Postanstalt zurückzustellen. 
Briefe, welche der Beschuldigte an seinen 
Beichtvater oder Vertheidiger richtet oder von 
diesen empfängt, dürfen einer Beschlagnahme 
nicht unterstellt werden, wenn dieses Verhältniß 
amtlich bekannt ist. 
Art. 72. 
Die an die Geschwornen zu stellenden Haupt- 
fragen sind lediglich dahin zu richten, ob sich der 
derjenigen H agen schuldig gemacht 
habe, welche den Gegenstand der Anklage bilden. 
Nrt. 73. 
Bei den zur Zuständigkeit der Schwurgerichte 
gehörigen Strafsachen, in welchen eine geringere 
Strafe dann zur Anwendung kommt, wenn das 
Vorhandensein mildernder Umstände festgestellt 
ist, muß bei Vermeidung der Nichtigkeit des 
Verfahrens an die Geschwornen die Frage gestellt 
werden, ob mildernde Umstände vorhanden seien. 
Die Frage, ob ein Todtschläger ohne eigene 
Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen 
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zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung 
von dem Getödteten zum Zorne gereizt und 
hiedurch auf der Stelle zur That hingerissen 
wurde (§. 213 des Strafsgesetzbuches für das 
Deutsche Reich), muß jedesmal gestellt werden, 
wenn der Staatsanwalt oder Vertheidiger solches 
beantragt. 
Ebenso ist in den Fällen, in welchen das Ge- 
setz die Wahl zwischen Zuchthaus und Festungs- 
haft gestattet (8§. 20 des Strafgesetzbuches für 
das Deutsche Reich) bei Vermeidung der Nich- 
tigkeit an die Geschwornen die Frage zu stellen, 
ob die strafbar befundene Handlung aus einer 
ehrlosen Gesinnung entsprungen sei. 
Wenn das Gesetz die Anwendung einer geringe- 
ren Strafe davon abhängig macht, daß ein minder 
schwerer Fall vorliegt, so entscheidet über das Vor- 
handensein dieser Voraussetzung der Schwurge- 
richtshof ohne Mitwirkung der Geschwornen. 
Art. 74. 
Der Wahrspruch der Geschwornen kann be- 
züglich der Hauptfrage, ob der Angeklagte sich 
derjenigen Handlungen schuldig gemacht habe, 
welche den Gegenstand der Anklage bilden, dann 
über die Frage, ob dieselben unter einem eine 
erschwerende Qualification begründenden Um- 
stande begangen worden seien, gegen den Ange- 
klagten nur mit einer Mehrheit von wenigstens 
acht Stimmen gebildet werden. 
Bezüglich der Strafmilderungsgründe oder 
mildernder Umstände entscheidet die einfache 
Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit die dem 
Angeklagten günstigere Meinung. 
Art. 75. 
Erklären die Geschwornen eine Person, welche 
zur Zeit der That das 18. Lebensjahr noch nicht
	        
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