127
stücke findet nur auf Grund eines nach Anzeige
der erfolgten Zurückbehaltung ergangenen förm—
lichen richterlichen Beschlusses statt.
Nach vollzogener Auslieferung ist die Eröff-
nung des beschlagnahmten Poststückes je nach
Lage der Sache von dem im Abs. 2 bezeichneten
Richterbeamten im Beisein des Staatsanwaltes
und, wenn möglich, des Angeschuldigten oder
eines Vertreters desselben vorzunehmen.
Ergeben sich bei der Eröffnung die vermutheten
Beweise, so sind die betreffenden Briefe oder
Ueberführungsgegenstände in den Gewahrsam des
Gerichtes zu nehmen, andernfalls aber unter
amtlichem Verschlusse und mit geeigneter amt-
licher Bestätigung auf dem Poststücke selbst der
Postanstalt zurückzustellen.
Briefe, welche der Beschuldigte an seinen
Beichtvater oder Vertheidiger richtet oder von
diesen empfängt, dürfen einer Beschlagnahme
nicht unterstellt werden, wenn dieses Verhältniß
amtlich bekannt ist.
Art. 72.
Die an die Geschwornen zu stellenden Haupt-
fragen sind lediglich dahin zu richten, ob sich der
derjenigen H agen schuldig gemacht
habe, welche den Gegenstand der Anklage bilden.
Nrt. 73.
Bei den zur Zuständigkeit der Schwurgerichte
gehörigen Strafsachen, in welchen eine geringere
Strafe dann zur Anwendung kommt, wenn das
Vorhandensein mildernder Umstände festgestellt
ist, muß bei Vermeidung der Nichtigkeit des
Verfahrens an die Geschwornen die Frage gestellt
werden, ob mildernde Umstände vorhanden seien.
Die Frage, ob ein Todtschläger ohne eigene
Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen
128
zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung
von dem Getödteten zum Zorne gereizt und
hiedurch auf der Stelle zur That hingerissen
wurde (§. 213 des Strafsgesetzbuches für das
Deutsche Reich), muß jedesmal gestellt werden,
wenn der Staatsanwalt oder Vertheidiger solches
beantragt.
Ebenso ist in den Fällen, in welchen das Ge-
setz die Wahl zwischen Zuchthaus und Festungs-
haft gestattet (8§. 20 des Strafgesetzbuches für
das Deutsche Reich) bei Vermeidung der Nich-
tigkeit an die Geschwornen die Frage zu stellen,
ob die strafbar befundene Handlung aus einer
ehrlosen Gesinnung entsprungen sei.
Wenn das Gesetz die Anwendung einer geringe-
ren Strafe davon abhängig macht, daß ein minder
schwerer Fall vorliegt, so entscheidet über das Vor-
handensein dieser Voraussetzung der Schwurge-
richtshof ohne Mitwirkung der Geschwornen.
Art. 74.
Der Wahrspruch der Geschwornen kann be-
züglich der Hauptfrage, ob der Angeklagte sich
derjenigen Handlungen schuldig gemacht habe,
welche den Gegenstand der Anklage bilden, dann
über die Frage, ob dieselben unter einem eine
erschwerende Qualification begründenden Um-
stande begangen worden seien, gegen den Ange-
klagten nur mit einer Mehrheit von wenigstens
acht Stimmen gebildet werden.
Bezüglich der Strafmilderungsgründe oder
mildernder Umstände entscheidet die einfache
Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit die dem
Angeklagten günstigere Meinung.
Art. 75.
Erklären die Geschwornen eine Person, welche
zur Zeit der That das 18. Lebensjahr noch nicht