10 Einleitung.
stände in diesem Jahrhundert eine gänzliche Neubildung
im Sinne des organischen Volksstaats vollzogen hat.?
Die deutsche Wissenschaft betrachtet diese Grundzüge
noch gegenwärtig, weil sie ein Produkt der sittlichen Kraft
des deutschen Volks sind, als einen der selbständigen
wissenschaftlichen Auffassung würdigen Gegenstand.®
2 Die Wahrnehmung dieses Satzes ist nach m. A. die Grund-
bedingung einer richtigen Konstruktion des heutigen Staatsrechts.
Mit der Neugründung der deutschen Staaten in diesem Jahrhun-
derte sind, man darf sagen, alle staatsrechtlichen Begriffe ver-
ändert und in einen anderen prinzipiellen Zusammenhang ge-
bracht worden. Es ist eine grosse Täuschung, wenn man es ein
historisches und daher rechtswissenschaftliches Verfahren nennt,
die modernen Institute unmittelbar an die gleichnamigen Er-
scheinungen des älteren Patriınonial- oder wenn man lieber will
Feudalstaatsrechts anzuknüpfen, und als deren natürliche Fort-
setzung zu behandeln. Selbst die einzelnen Elemente, welche
aus dieser Periode in die Gegenwart ohne Aenderung ihres
äusseren Wesens verpflanzt worden sind, haben im Zusammen-
hange des modernen Staatsrechts eine ganz andere Bedeutung
gewonnen. Dies kann heutzutage nicht mehr verkannt werden,
nachdem alle deutsche Staaten mit wenigen Ausnahmen in die
neue Ordnung eingetreten sind. Für die unentwickelte, noch im
Uebergange begriffene Zeit, in welche die publicistische Lehr-
wirksamkeit K. F. Eichhorn’s fällt, war jene Vorstellung be-
greiflich; wenn sie aber auch noch in Schriften der Gegenwart
nach Eichhorn’s Vorgange mit dem Anspruche, als „historische
Auffassung“ zu gelten, hervortritt, so beruht das auf einem Mangel
an Verständniss unserer politischen Entwickelung. — Keinem
Zweifel aber kann es unterliegen, dass der organische Staat der
konstitutionellen Monarchie als der Inhalt der gegenwärtig be-
stehenden allgemeinen Rechtsüberzeugung des deutschen Volks
angesehen werden muss, weshalb eine zunächst nur auf diese und
nicht auf eine Statistik gerichtete Darstellung von dem Staats-
rechte der wenigen ausnahmsweise auf einer früheren Stufe stehen
gebliebenen Staaten ebenso absehen darf, als von dem Staatsrechte
der drei Municipalrepubliken.
3 Ich rede aber vom deutschen Verfassungsrechte. Diess
zu betonen, scheint um deswillen nothwendig, weil so wie man