22 Erster Abschnitt.
dass sie die höchste Macht im Volke und dass allge-
mein die Ueberzeugung von ihrer Unwiderstehlichkeit
begründet ist.* Soll sie aber ganz ihrer Idee entsprechen,
d. h. den sittlichen Gesammtwillen eines Volks in voller
Wahrheit darstellen, so muss sie so geartet sein, dass
sie die Motive ihres Handelns nicht von einer ausser
ihr stehenden höheren Macht empfängt, sondern ledig-
lich in sich findet, sie muss m. a. W. souverain sein.
Auf ihrer Bedeutung als seelischer Kraft der Staatsper-
sönlichkeit eines Volks beruht ihre Eigenschaft der Un-
theilbarkeit.®
4 Es pflegt wohl hier ein ganzes Register anderer s. g. Eigen-
schaften der Staatsgewalt aufgeführt zu werden, welche aber ent-
weder gar kein rechtliches Moment bezeichnen (z. B. die s. g.
Heiligkeit), oder nicht hierher, sondern zur Charakteristik des
Staats gehören (z. B. die s.g. Ewigkeit). So z. B. Mauren-
brecher, Staatsrecht $. 30, Held, System des Verfassungsrechts
1. Band $. 138. Ihre Eigenschaft als höchste Macht im Staate
begreift übrigens auch die Eigenschaft der Ausschliesslichkeit.
5 Nach meiner Ansicht ist diess der eigentliche, auch ge-
schichtlich allein zu rechtfertigende Sinn des freilich in so vieler-
lei Bedeutungen gebrauchten Wortes Souverainetät: Unabhängig-
keit einer Staatsgewalt von einer ausser ihr stehenden höheren
Staatsgewalt. Souverainetät ist also nicht selbst Staatsgewalt,
sondern bezeichnet nur eine Eigenschaft der vollkommenen
Staatsgewal.e. Die Ausdrücke „Fürstensouverainetät, Volks-
souverainetät, Nationalsouverainetät‘ sind nur Stichworte für ver-
schiedene politische Bestrebungen. Mit dem Begriffe des Mo-
narchenrechts im engeren Sinne steht der Begriff Souverainetät
an sich in gar keiner Relation; und doch wird Souverainetät und
monarchisches Prinzip so oft verwechselt (diess that selbst der
Artikel 57. der Wiener Schlussacte).
6 Es bedarf hier keiner erneuten Widerlegung des wenigstens
wissenschaftlich längst überwundenen s. g. Prinzips der Theilung
der Gewalten.