Full text: Bürgerkunde.

4 Zur Einführung 
satzes eingedenk sein, daß das Wohl des Ganzen immer über unserem 
eigenen Wohl stehen muß. Endlich aber sind die Pflichten, die uns 
gegen uns selbst zukommen, besonders die Pflicht strenger Recht— 
schaffenheit und Wahrhaftigkeit, der Mäßigkeit, des Fleißes und der 
Ausbildung und Stählung unseres Körpers und unserer Gesundheit 
zugleich ernste Pflichten gegenüber dem Staat; denn nur so lange 
diese Tugenden in dem Volke leben, kann es gedeihen und blühen; 
sind sie verloren, so versinkt es und andere, noch unverdorbene Völker 
treten an seine Stelle. 
Wie wir leicht das Glück einer ungestörten Gesundheit gering 
achten, so lange nicht Krankheit sich fühlbar macht, so wird die Bedeu- 
tung des Staates häufig deshalb nicht richtig gewürdigt, weil wir 
an seine Wohltaten von Jugend auf gewöhnt sind und sie daher als 
etwas Selbstverständliches hinnehmen. Vielen kommt so das Dasein 
des Staates nur dann zum Bewußtsein, wenn er verbietend oder 
strafend oder Geldopfer heischend auftreten muß; er erscheint ihnen 
deshalb vorwiegend als etwas Lästiges, Unbequemes. Nur so ist die 
seltsame Tatsache zu erklären, daß es auch heutigen Tages noch solche 
gibt, die behaupten, eine völlige Herrschaftslosigkeit (Anarchie) sei 
dem Leben im Staate vorzuziehen. 
Die wirkliche Bedeutung des Staates für unser Leben vermag 
nur zu würdigen, wer nicht nur verschwommene und undeutliche Vor- 
stellungen über ihn besitzt, sondern sich die Mühe nimmt, seine Ein- 
richtungen und seine Wirksamkeit genauer kennen zu lernen. Ein 
solches näheres Eindringen führt zugleich zur Erkenntnis, daß der 
Staat nicht ein toter Mechanismus ist, den man heute so und morgen 
anders gestalten kann. Weit eher ist er an Mannigfaltigkeit und 
Feinheit dem Organismus des menschlichen Körpers zu vergleichen; 
denn alle seine Klassen, Stände und Berufskreise sind durch zahllose 
Beziehungen miteinander verbunden und von einander abhängig, wie 
die verschiedenen Organe eines und desselben lebenden Körpers. Wie 
man aber nicht in die Lebensbedingungen unseres Körpers gewaltsam 
eingreifen darf, soll nicht das Leben selbst gefährdet werden, so birgt 
jeder schroffe, nicht aufs sorgfältigste erwogene Eingriff des Staates 
in das wirtschaftliche und sonstige Leben eines Volkes für dasselbe 
schwere Gefahren. Fast jede Maßregel, welche einem Stande Vor- 
teil bringt, hat für andere Stände oder Berufzklassen die gegen- 
teilige Wirkung und wird daher von ihnen heftig bekämpft.“ Nichts 
ist daher ungerechtfertigter, als wenn jeder Stand stets nur seine 
1 Man erinnere sich als eines einzigen Beispiels nur an die Getreide- 
zölle, welche von der Landwirtschaft nachdrücklich als für ihr Fortbestehen 
notwendig verlangt, von der anderen Seite aber wegen der damit ver- 
knüpften Steigerung der Lebensmittelpreise aufs heftigste befehdet werden.
	        
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