Die verschiedenen Staatsformen 5
Interessen im Auge hat und glaubt, der Regierung zur Last legen zu
dürfen, wenn er sich nicht so wohl befindet, wie es wünschenswert
wäre. Abgesehen nämlich davon, daß in unseren konstitutionellen
Staaten die Regierung überhaupt nicht imstande und nicht be—
rechtigt ist, tiefergehende Reformen gegen den Willen der Mehrheit
des Volkes durchzusetzen, kann und darf sie auch nicht einem einzelnen
Stande ihre ausschließliche Fürsorge zuwenden; sie muß die Inter-
essen aller gegeneinander abwägen und kann dem einzelnen nur so-
viel geben, als sich mit den berechtigten Ansprüchen der anderen ver-
trägt.
Die Kenntnis unseres Staatslebens hat aber endlich noch eine
tiefere Bedeutung und Wirkung. Keine Regierung, auch nicht die
weiseste, kann ein Volk nachhaltig und dauernd auf eine höhere Stufe
der Entwicklung heben, wenn nicht das Volk selbst in seiner politischen
Erkenntnis und Reife ständig fortschreitet. Deshalb besteht eine der
wichtigsten Pflichten jedes Staatsbürgers darin, sich einen klaren
Einblick in unser staatliches und wirtschaftliches Leben zu verschaffen,
eifrig und gewissenhaft zu prüfen, wie wir an seiner Verbesserung
arbeiten können, und alsdann für das als richtig und notwendig Er-
kannte jederzeit und überall mannhaft einzutreten. Wenn wir in
solcher Weise alle mitarbeiten am Wohle des Ganzen, so danken wir
damit am besten für alles, was wir unserem Heimatstaate, was wir
unserem Reiche schulden.
B. Don den verschiedenen Staatrsformen.
1. Begriff und Inhalt der Souveränität.
Der Staat übt die ihm zustehende höchste Gewalt (die sog.
Souveränitätg aus, indem er Gesetze gibt und für deren Voll-
ziehung Sorge trägt. Die Vollziehungsgewalt wird auch die
„Exekutive“ genannt. Vollzogen aber werden die Gesetze teils
durch die Rechtsprechung, durch welche sie gegenüber solchen,
die ihnen widerstreben, zur Anerkennung und Durchführung gebracht
werden, teils durch die hiervon strenge geschiedene Verwaltung.
* Ein Staat besitzt nur dann die volle Souveränität, wenn
ihm auf seinem Gebiete allein und ausschließlich die höchste Gewalt zusteht,
und wenn er ferner befugt ist, seine Beziehungen zu anderen Staaten nach
eigenem Willen zu regeln. Halbsouverän werden Staaten genannt,
deren Selbständigkeit durch die Oberhoheit (sog. Suzeränitä,t,) eines
anderen Staates beschränkt ist. Dahin gehört z. B. zurzeit Aeghpten, das
unter der Oberhoheit der Türkei (daneben auch unter der Oberaufsicht Eng-
lands) steht.