384 MW. »on Blume, Bedeutung und Aufgaben der Parlamente. Partelhildung.
Interessen der Fabrikarbeiter mit denen der Fabrikunternehmer identisch sind, während ihre
Klassen-Interessen auseinandergehen. Oder, um ein bekanntes Bild zu gebrauchen: Sie
kämpfen gemeinschaftlich um den Futterplatz, aber sie bestreiten einander den Futteranteil.
Es ist vollends unrichtig, dass alle Parteipolitik lediglich Interessenpolitik sei. Sie war es
nicht, als die heutigen Parteien eich bildeten und ist es auch heute nicht, wo die Interessen-
gegensätze an Schärfe ständig zunehmen.
Aber nicht zu bestreiten ist, dass die Kämpfe der Bevölkerungsklassen und der wirt-
schaftlichen Gruppen den alten Parteien Englands wie den jüngeren Parteien des Kontinents,
insbesondere Deutschlands, gefährlich werden. Und nicht nur denParteien, sondern dem Staate.
Denn, inılem sie die bestehenden Parteien zu zersetzen uinlwirtschaftliche Interessen-
parteien zu bilden streben, schaffen sie Organisationen, deren Kämpfe ihr Ziel nicht im
Gemeinwohl, sondern lediglich in der Niederwerfung des Gegners und der Behauptung des
eigenen Interesses des Siegers haben.
Damit aber vergiften sie das parteipolitische Leben. Der Hass ist stets ein tibler
Berater, auch in der Politik. Gegensätze der Ideen können keinen Parteihass erzeugen; wo
dieser sich zeigt, stecken persönliche Feindschaften der Führer oder völkische, gesellschaft-
liche, wirtschaftliche Reibungen dahinter. Die persönlichen und sozialen Gegensätze, aus
denen die alten englischen Parteien entstanden, waren in England überwunden; daher dort
die guten Sitten des politischen Kampfes, die erst in neuester Zeit zu schwinden beginnen.
In Deutschland beginnen erst jetzt die alten Wunden des Parteikampfes zu vernarben und
schon droht der Klassenkampf, schon drohen die wirtschaftlichen Interessengegensätze nenes
Gift bineinzuträufeln.
Und wie den Parteien, so droht dem Staate Gefahr, wenn diese Strömungen die
Oberhand im politischen Leben gewinnen. Staatsfeindlich ist eine Partei nicht schon deshalb,
weil sie die gegenwärtige Staatsverfassung bekämpft — denn mehr oder minder wünscht
jede Partei den Staat in ihrem Sinne umzuformen; staatsfeindlich ist vielmehr eine Partei
dann, wenn sie — offen oder versteckt — ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl das Interesse
einer Gruppe oder Klasse zu verwirklichen strebt. Denn sie setzt sich in Widerspruch zu
den Grundgedanken des Staates.
Zwar wird, wie schon oben gesagt wurde, auch in einer Gemeinschaft das Leben sich
nicht ohne Kämpfe abspielen, ja oft der Kampf erst das rechte Leben hervorrufen. Aber
in einer Rechtsgemeinschaft, in einem Staate kann der Kampf niemals die Unterwerfung
des Gegners unter das eigene Interesse, sondern nur die Beugung seines Willens zum
Zwecke des Ausgleiches der beiderseitigen Interessen haben. Ein Kampf, der die Ver-
nichtung des Gegners zum Ziel hat, ist Krieg, auch wenn er nicht mit blanker Waffe, sondern
mit wirtschaftlichen Mitteln ausgefochten wird. Der Krieg aber zwischen Gruppen der
Bürgerschaft eines Staates ist Bürgerkrieg.
Nur dann werden die historischen und die staatsidealistischen Parteien sich behaupten
können, wenn es ihnen gelingt, in sich die Gegensätze der völkischen, gesellschaftlicben und
wirtschaftlichen Interessen zu vereinigen und auszugleichen. Dies kann ihnen aber nicht
glücken, wenn sie sich bald dem einen, bald dem anderen Interesse unterwerfen, sondern nur
dann, wenn sie sich zum Schiedsrichter über die streitenden Interessen machen. Sind sie dazu
nicht imstande, so haben sie ihre Rolle ausgespielt, mit ihnen aber auch das Parlament, in
dessen Leben sie Ordnung brachten. Versagen die Parteien und versagt das Parlament, so
werden andere Kräfte den Staat zu retten suchen, wie einst der grosse Kurfürst den Eigennutz
der Stände und wie vor zwei Jahrtausenden der grosse Cäsar den Eigennutz der Klassen
bändigte.
Dis Staatsgefährlichkeit der reinen Interessenpartei wurde aus der Eigennützigkeit
ihres Wirkens abgeleitet. Dem Staate und dem Parlament gefährlich sind aber auch
Parteien mit internationaler Organisation, mag es sich um Bildungen auf kirchlicher oder
auf völkischer oder auf gesellschaftlicher oder auf wirtschaftlicher Grundlage handeln. Denn
sie mögen wollen oder nicht, sie werden immer wieder dahin getrieben, ihre Zwecke nicht