88. Das Staatsgebiet. 17
i) Wenn in ihrem Gebiet Jemand eine Bergwerksmuthung einlegt, so ist ihnen die
Muthung anzuzeigen, und sie haben binnen sechs Wochen das Vorrecht auf die Muthung,
vorausgesetzt, daß sie das Bergwerk binnen Jahresfrist wirklich in Betrieb nehmen!).
k) In Familien= und Vermögenssachen haben sie das Recht der Autonomie. Doch
dürfen ihre Satzungen dem Reichsrecht nicht widersprechen. Sie sind nur dann gültig,
wenn sie dem Großherzoge zur Kenntniß mitgetheilt sind, während eine Bestätigung seitens
des Großherzogs nicht nöthig ist. Dritten gegenüber werden sie erst durch Bekannt-
machung im Regierungsblatte wirksam.
1) Liquide Gefälle können sie durch ihre Beamten selbst beitreiben, solange bis der
Pflichtige widerspricht.
m) Die Fürsten führen den Titel Durchlaucht, die Grafen den Titel Erlaucht. Im
Kirchengebet der Kirchen des standesherrlichen Gebiets ist ihrer zu gedenken. Beim Tode
eines Standesherrn herrscht auf 14 Tage, beim Tode eines Mitgliedes seines Hauses auf
8 Tage im standesherrlichen Gebiete Trauer mit Einstellung aller öffentlichen Lustbar-
keiten. Sie dürfen eine Ehrenwache bis 30 Mann halten, Hofwürden verleihen u. f. f.
II. Niederer Adel. 1. Seine Vorrechte sind die folgenden:
a) Der Senior?) der Familie Riedesel zu Eisenbach ist geborenes Mitglied der
ersten Ständekammer.
b) Die genügend mit hessischem Grundbesitz angesessenen Adeligen wählen aus ihrer
Mitte zwei Vertreter in die erste Ständekammer; ein Unterschied zwischen althessischer Ritter-
schaft und neu eingewanderten oder neu geadelten Adelsfamilien wird hier nicht gemacht.
2. Andere Vorrechte besitzt der niedere Adel nicht. Auch das Kirchen= und Schul-
patronat hat er nur in gleichem Umfange, wie andere Privatleute. Das Vorrecht der
althessischen Ritterschaft auf Theilnahme an dem von Philipp dem Großmüthigen
gegründeten Kaufunger Stiftungsfonds ist rein privatrechtlicher Art.
Die ältere Gesetzgebung hatte dem niederen Adel noch eine Reihe anderer Vorrechte gegeben.
Dabei wurde zwischen der landsässigen Ritterschaft und denjenigen Rittern, die bis 1806 reichs-
unmittelbar gewesen waren, nicht weiter unterschieden, sondern jeder Ritter, der ein mit Gerichts-
barkeit ausgestattetes Gut besaß, wurde durch Verwaltungsrechte, Patrimonialgerichtsbarkeit, bevor-
zugten Gerichtsstand vor dem Hofgericht, Autonomie u. s. f. ausgezeichnet?'). Die Freiherrn von
Riedesel zu Eisenbach wurden sogar den Standesherren nahezu gleichgestellt!). Das Gesetz vom
7. August 1848 hat aber alle diese Vorrechte beseitigt, und der Versuch Dalwigk's, sie wieder her-
zustellen, ist am Widerspruch der II. Kammer gescheitert. — Die bevorzugte Stellung, welche die
Familie von Riedesel noch jetzt behauptet, beruht einmal darauf, daß sie vormals von allen reichs-
ritterlichen Familien das größte Gebiet besaß und ferner darauf, daß ihr in altständischer Zeit
die Erbmarschallswürde in Hessen gebührte.
§ 8. b. Das Staatsgebiet. Eine Theilung des Staatsgebiets oder eine sonstige
Veränderung der äußeren Grenzen kann nur durch Gesetz geschehen. Siehe Verf. Art. 3.
Die Bezeichnung der Grenzen wird von den Kreisämtern besorgt.
Eine feste Grenze fehlt in der Enklave Kürnbach, an der badisch-württembergischen
Grenze bei Bretten gelegen. Diese Gemarkung gehört nämlich Baden und Hessen derart
gemeinsam, daß diejenigen Grundstücke, welche im Eigenthum hessischer Unterthanen stehen,
zu Hessen, diejenigen, welche im Eigenihum badischer Unterthanen stehen, zu Baden
gehören. Die hessisch-badische Grenze wechselt also, sobald ein badischer Unterthan sein
Haus an einen Hessen verkauft und umgekehrt).
1) Edikt Art. 32, Berggesetz von 1876, Art. 231.
2) Das Riedesel'sche Seniorat beruht darauf, daß in dieser Familie der Vorzug des Erst-
geburt nicht eirgeführt ist. Es fehlt also ein Familienhaupt wie bei standesherrlichen Familien.
3) Dekl. v. 1. Dezemb. 1807. 4) Dekl. v. 13. Juli 1827.
5) Sieht Bek. 2. Jan. 1836.
Handbuch des Oeffentlichen Rechts III. 2. Aufl. Hessen. 2