fullscreen: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
184 Physikalische Chemie. X. Buch. 
  
Nernst und seinen Mitarbeitern, sowie von Haber, Bodenstein, Schenk u. a. brachten 
große Fortschritte in experimenteller und theoretischer Beziehung. Eine große Reihe ein- 
schlägiger Untersuchungen bezogen sich weiter auf heterogene Gleichgewichte mit 
einer flüssigen Phase. Hier sind zu nennen die grundlegenden Arbeiten von van't 
Hoff und seinen Mitarbeitern (1887—1895) über die Bildung und Spaltung von Doppel- 
salzen. An diese reihen sich die umfassenden Forschungen von van't Hoff, Meyer- 
hoffer u. a. über die Gleichgewichtsverhältnisse bzw. Existenzbedingungen der in den 
Staßfurter Salzlagern vorkommenden Doppelsalze. Sie fanden nach einer Arbeitszeit 
von 10 Zahren in dem Werke van't Hoffs „Zur Bildung der ozeanischen Salz- 
ablagerungen“ (1909) Abschluß und Zusammenfassung. Weitere Untersuchungen an 
analogen heterogenen Gleichgewichten mit einer flüssigen Phase wurden von Bakhuis 
Roozeboom, Schreinemakers u. a. ausgeführt. Ein von Willard Gibbs auf 
theoretischem, thermodpnamischem Wege entdecktes Gesetz, die „Gibbesche Phasen- 
regel“ gewann für das Studium solcher heterogenen Gleichgewichte einschnei- 
dende Bedeutung. Experimentell vollständig bestätigt, dient sie jetzt auch in den ver- 
wickeltsten derartigen Gleichgewichtsfällen als stets sicherer Führer, wenn auch ihre 
Bedeutung für Gleichgewichte anderer Art zeitweise überschätzt wurde. 
#Auch unseren Kenntnissen von der Reaktionsgeschwindigkeit ist in der Berichts- 
zeit Wesentliches zugewachsen. Noyes und seine Mitarbeiter (1895—1898) sowie 
Donnan und Nossignol (1903) brachten die bis dahin noch ausstehenden experimen- 
tellen Bestätigungen der grundlegenden Differentialgleichung des zeitlichen Reaktions- 
verlaufs für tri- und höhermolekulare Reaktionen. Mentschutkin (1890) studierte 
eingehend den Einfluß des Mediums auf den zeitlichen Verlauf eines sich zwischen ge- 
lösten Stoffen abspielenden Vorgangsz; nach gleicher Richtung gehen die Arbeiten von 
Buchboeck (1897) und Tubandt (1907). Die Wirkung von Katalysatoren, d. h. von 
Substanzen, die die Reaktionsgeschwindigkeit beeinflussen, ohne daß infolge des Vor- 
gangs ihre eigene Menge sich änderte, wurde besonders von Bredig und seinen Mit- 
arbeitern untersucht (1905). Kolloidale Metallösungen, insbesondere Platinmetallösung, 
zeigten sich als sehr wirksame Reaktionsbeschleuniger (Bredig 1899). 
Das große Problem der Messung derchemischen Affinität wurde in letzter 
Zeit durch die Aufstellung des Nernstschen Wärmetheorems von einer neuen Seite 
aus angefaßt. Seitdem die theoretische Chemie mit van't Hoff die mazimale Arbeit, 
welche ein chemischer Prozeß liefern kann, als Maß der A#ffinität dieses Prozesses betrach- 
tet, ist die Affinitätsmessung auf die Bestimmung dieser maximalen Arbeit zurückgeführt. 
Die beiden Verfahren, über die die phpsikalische Chemie bis jetzt hierfür verfügte, liefen 
darauf hinaus, entweder die Konstante des beim Ablauf der Reaktion sich einstellenden 
Eleichgewichts zu ermitteln, denn diese ist mit dem Arbeitsmaximum des Prozesses 
direkt verknüpft, oder aber den Prozeß in einem reversibel arbeitenden galvanischen 
Element sich abspielen zu lassen und die auftretende elektromotorische Kraft zu messen, 
die dann unmittelbar den Wert der Arbeit ergibt. Beide Verfahren waren nicht in allen 
Fällen anwendbar. Der von Nernst (1906) thermodynamisch abgeleitete neue Satz 
ermöglicht es nun, den Wert für die Affinität aus, prinzipiell wenigstens, leicht zugäng- 
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