24 JNas Veutsche Reich und seine einelnen Glieder. (Januar 19./23.)
Auf die Bemerkungen des Abg. Richter über die Stellung der Minister
sagt der Kanzler: In jedem konstitutionellen Staatswesen sind die Minister,
ist namentlich der leitende Staatsmann genötigt, mit der Individualität
des Monarchen zu rechnen. Wie unter uns allen, so gibt es auch unter
den Fürsten schwächere und stärkere Individualitäten. Je stärker und je
ausgeprägter die Individualität des Monarchen ist, um so mehr wird er
geneigt sein, Einfluß zu gewinnen auf den Gang der Staatsgeschäfte, teil-
zunehmen an dem Gang der Staatsgeschäfte. Daß dadurch einem verant-
wortlichen Minister seine Aufgabe nicht immer erleichtert wird, darin hat
der Abg. Richter vollkommen recht, und deshalb habe ich zu den dies-
bezüglichen Ausführungen, die er uns machte, genickt. Aber, m. H., auf
der anderen Seite wollen wir doch nicht vergessen, daß eine starke, aus-
geprägte und begabte Individualität eines Fürsten für ein Volk von nicht
zu unterschätzendem, großem Vorteil ist. (Sehr wahr!) Wenn Sie sich
davon überzeugen wollen, so gehen Sie ins Ausland. Ich habe lange
Jahre meines Lebens im Ausland zugebracht und ich habe in ausgesprochen
parlamentarischen und parlamentarisch regierten Ländern nicht sehr viele
getroffen, die mit einer ganz passiven Haltung des Monarchen einverstanden
waren, sehr viele, die sich nach einem starken akzentuierten Monarchen
sehnten; und auch diejenigen, die mit dem Gange unserer Politik nicht
einverstanden sind, sollten auch nicht ungerecht sein für das tatkräftige
Streben und für das redliche Wollen unseres Kaisers; die sollten doch nicht
ungerecht sein für den großen Zug in seinem Wesen, die sollten nicht un-
gerecht sein dafür, daß er einen freien und vorurteilslosen Sinn hat. Ich
sage das ohne jeden Byzantinismus; aber an ihm ist nichts kleinlich, und
was Sie ihm auch vorwerfen mögen, ein Philister ist er nicht! (Heiterkeit.)
Und das ist sehr viel wert im zwanzigsten Jahrhundert. Mit Entschieden-
heit aber muß ich dagegen Verwahrung einlegen, daß Angriffe und so
provozierte Angriffe in der geschickten und gewählten Form, die der Herr
Abg. Richter gegen seine Stellung macht, gerichtet werden gegen den
Monarchen und nicht gegen die Minister. Das innerste Wesen des kon-
stitutionellen Staates besteht darin, daß der Monarch staatsrechtlich nicht
verantwortlich ist. Wenn Sie also Angriffe erheben wollen gegen irgend
welche Handlungen des Monarchen, so sind diese zu richten an die Person
des verantwortlichen Reichskanzlers, sie sind zu richten gegen die Minister.
Unruhe links.) Ich wüßte mich nicht zu erinnern, bat ich mich dieser
erantwortung je entzogen hätte. (Zurufe links.) Und wenn ich diese
Verantwortlichkeit zu tragen nicht mehr im stande wäre, nicht durch nach-
träglich abgegebene Erklärungen, nicht pro forma, sondern in Wirklichkeit
und mit dem einzigen Bestreben, dem Lande so zu dienen, wie es unter
den gegenwärtigen Verhältnissen meine Schuldigkeit ist, so würde ich dem
Zwiespalt der Meinungen zwischen dem Monarchen und mir dadurch ein
Ende machen, daß ich Se. Majestät bäte, mich in Gnaden meines Amtes
zu entheben. Solange ich aber an dieser Stelle stehe, bitte ich, für etwaige
Angriffe sich nicht die allerhöchste Person zu wählen, sondern meine Person
und die Angriffe gegen mich zu richten. (Zurufe links.) Ich bin über-
zeugt, daß, wenn Sie sich diese staatsrechtliche Auffassung aneignen, der
Gang der Geschäfte dann nur gewinnen würde. — Ueber die Burenfrage
sagt er: Der Empfang der Burengenerale war Sr. Majestät dem Kaiser
durch mich vorgeschlagen worden, unter zwei ausdrücklichen Bedingungen,
nämlich einmal, daß die Burengenerale sich auf deutschem Boden anti-
englischer Agitationen zu enthalten hätten, und dann, daß sie als englische
Staatsangehörige die Audienz nachzusuchen hätten durch die Vermittlung
des englischen Botschafters. Der General de Wet hat diese Bedingungen