500 XXII. Friedensverhandlungen
Der Reichskanzler ausführt die innere Lage. Stimmung kriegsmüde
— Ernährung unzureichend, noch schlimmer Bekleidungsmangel. Wahl-
rechtsreform.
General Ludendorff: Strengere innere Zucht erforderlich. Zusammen-
fassung der inneren Kräfte mit größter Energie"). Bestrafung Lichnowskys.
Der Slaalssekretär äußert sich über die äußere Lage. Die Sieges-
zuversicht des Feindes und sein Kriegswille seien zur Zeit gehobener denn
je. Der Grund seien zum Teil die letzten militärischen Erfolge im Westen;
der Hauptpunkt sei aber die ursprüngliche und stets zunehmende Über-
zeugung, daß die Alliierten mit ihren vergleichsweise unerschöpflichen Re-
serven an Menschen, Rohstoffen und Fabrikaten allein mit der
Zeit die verbündeten Zentralmächte zerschmettern müßten. Nach Ansicht
unserer Feinde arbeitet die Zeit für sie. Je länger der Krieg dauert, desto
mehr vermindert sich in den Zentralmächten der Bestand an Menschen,
Nohstoffen und Fabrikaten, während die Alliierten in allen drei Punkten
auf Vermehrung rechnen. In jüngster Zeit ist bei den Alliierten hierzu
die Hoffnung getreten, dem Faktor Zeit durch militärische Erfolge nach-
helfen zu können. Soviel für den Feind.
Die Neutralen sind überaus kriegsüberdrüssig; auch bei ihnen be-
festigt sich die Meinung, daß allein durch die Zeit die Zentralmächte zur
Niederlage verurteilt seien; allerdings würden die Neutralen am liebsten
sehen einen Frieden ohne einen Sieg für irgendwelche Partei. Aus Ge-
fühlsrücksichten ist den meisten Neutralen der Sieg unserer Feinde sym-
pathischer. Vor allem aber wollen sie das Kriegsende sehen, gleichgültig
welches. Daher sind sie auch bereit, auf unsere Niederlage hin mitzu-
arbeiten. Ein Beweis sei das Vorgehen Spaniens gegen unsere Torpe-
dierungen, welches uns vor das Problem stellt, entweder den U-Bootkrieg
einzuschränken, oder Krieg. Dieser Vorgang sei um so bedenklicher, als bei
Bekanntwerden andere Neutrale ihm folgen würden.
Verbündete: Österreich erklärt — und unsere eigenen Nachrichten
geben eine Bekräftigung dieser Meinung —, daß es am Ende seiner Kräfte
angelangt sei, daß es nicht länger als durch den Winter aushalten könne,
daß selbst ein Winterfeldzug mehr als zweifelhaft sei.
Bulgarien stellt größte Anforderungen an Subsidien und Lieferung
von Waren und ist wegen Erschöpfung seiner Armee angeblich wenig
leistungsfähig.
Die Türkei hat sich in einen Mord= und Beutekrieg im Kaukasus
*) Ich habe mich über die Notwendigkeit, den Geist des Volkes zu heben, am
13. und 14. August sehr eingehend ausgesprochen, weil hiervon die Widerstandsfähigkeit
der Front abhing. Ich weise auch auf die Verfügung des Reichskanzlers vom 29. 8. 1918
Seite 288 hin.