136 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Das Lehnsverhältnis hat eine persönliche und eine dingliche Seite. Die Lehnserrichtung
erfolgt durch den Doppelakt der Hulde und Leihe. Der Mann schwört, dem Herrn so treu und
hold zu sein, als ein Mann von Rechts wegen dem Herrn soll (Hulde schwören), und bietet, indem
er seine gefalteten Hände in die Hände des Herrn legt, diesem seine Mannschaft an (Hulde tun,
Mannschaft leisten). Auch die Leihe erfolgt als ein symbolischer Akt; sie gibt dem Manne ein
Recht auf die Einweisung in das Lehen. Der Vassall ist nicht befugt, das Gut zu veräußern,
darf es aber in die Afterleihe geben. Bei Herrn= und Mannfall muß binnen Jahr und Tag das
Lehen gemutet, die Lehenserneuerung erwirkt werden, soll das Lehen nicht heimfallen. In
das Lehen folgen nur männliche Deszendenten des letzten Besitzers, doch bietet die Gesamt-
belehnung ein Mittel, den Ubergang des Lehns auf Seitenverwandte zu sichern. Ist der Lehns-
erbe unmündig, so tritt sogenannte Lehnsvormundschaft ein, d. h. der Herr bezieht, bis der Lehns-
mann zu seinen Jahren gekommen, die Nutzungen des Lehns. Von mehreren Lehnserben
ist der Herr nur einen jenen, den diese vorschlagen, zu belehnen verpflichtet, ein Satz, woraus
sich mit Rücksicht auf die Lehnsvormundschaft eine Primogeniturfolge in Lehen entwickelte.
Die Dienstlehen, welche die Dienstmannen von ihren Herren erhielten, wurden ursprüng-
lich nach Hofrecht, und zwar ohne Mannschaft geliehen. Der Dienstmann war ja dem Herrn
durch seine Geburt zu Diensten verpflichtet. Das nach Hofrecht geliehene Dienstlehen durfte
der Dienstmann weder veräußern, noch in Afterleihe geben. Seit dem 12. Jahrhundert wurden
Ministerialen mit echten Lehen (gegen Mannschaft) beliehen und wurden Dienstlehen in echte
Lehen umgewandelt.
Mit dem echten Lehen, mit dem Dienstlehen und den hofrechtlichen Leiheverhältnissen
konkurrierte eine persönliche Abhängigkeit des Beliehenen vom Leiheherrn, welche auf Ver-
trag oder auf Geburt beruhte und den Beliehenen zum mindesten in Sachen des Gutes der
Gerichtsbarkeit des Leiheherrn unterwarf. Durch die Freiheit von solcher Abhängigkeit kenn-
zeichnen sich die freien landrechtlichen Leiheverhältnisse, Zeitpacht, Erbpacht und Erbzinsgut
und die stadtrechtliche Leihe.
Ein eigenartiges Recht an fremder Sache hat sich in den Grundlasten oder Real-
lasten ausgebildet. Sie bestehen darin, daß der Eigentümer der Sache zu wiederkehrenden
Leistungen verbunden ist, deren Ausbleiben den Berechtigten befugt, sich an die Sache zu halten.
Die Leistungen konnten in Zinsen, Zehnten, Fronden oder Renten bestehen. Das Recht wurde
durch Auflassung begründet und zählte zum unbeweglichen Vermögen. Nur die Sache war
verhaftet, nicht auch das sonstige Vermögen des Eigentümers. Rückstände blieben auf der Sache
liegen und bildeten nicht etwa eine persönliche Schuld desjenigen, unter dessen Eigentums-
periode sie entstanden. In den Städten hat sich der Leihezins, den der Hauseigentümer für die
geliehene Baustelle entrichtete, allmählich in eine Reallast umgewandelt. Der Hauseigentümer
konnte das Haus auch zugunsten Dritter mit Renten belasten.
§ 48. Das Recht an der Fahrnis war nicht in allen Fällen durch eine absolute (gegen
jeden Dritten wirksame) Klage geschützt. Hatte jemand eine Sache selbst einem anderen an-
vertraut, so hatte er keine Klage gegen den dritten Besitzer, sondern mußte sich an die Hand
halten, in die er sie gegeben. „Hand muß Hand wahren.“ „Wo du deinen Glauben gelassen
hast, mußt du ihn suchen.“ Dagegen war im Falle des unfreiwilligen Besitzverlustes, bei ab-
handen gekommenen Sachen, namentlich solchen, die gestohlen oder geraubt worden, die so-
genannte Anfangsklage gegen jeden dritten Besitzer gegeben. Sie legte den objektiven Tat-
bestand des Diebstahls oder des Raubes zugrunde, ohne gegen den Widersacher den unmittel-
baren Vorwurf der Missetat zu erheben. Ihre Beschränkung auf den Fall unfreiwilligen Besitz-
verlustes steht in geschichtlichem Zusammenhang mit der Tatsache, daß das deutsche Recht anders
als das römische Recht die Unterschlagung von dem Diebstahl trennt, indem es das Wegnehmen
aus dem Gewahrsam eines anderen als begriffliches Merkmal des furtum betrachtet. Das
Anefangsverfahren zeichnet sich zunächst durch die besondere Form außergerichtlicher Einleitung
des Rechtsstreites aus. Traf derjenige, dem die Sache wider Willen abhanden gekommen war,
diese im Besitz eines Dritten, so nahm er den Anefang (intertiatio, oberdeutsch auch fürfang)
vor, d. h. er faßte die Sache unter bestimmten Förmlichkeiten an und behauptete die Tatsache
des unfreiwilligen Verlustes. Der Anefang galt rechtlich als „der Klage Beginn“. Die Ane-