Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Erster Band. Die vertragsmäßigen Elemente der Deutschen Reichsverfassung. (1)

6 Erstes Kapitel. 
Interpretation aller unter der Verfassung ergangenen Gesetze 
ausschliesslich den Unionsgerichten zustände und dass die 
Verfassung den Einzelstaaten kein Richteramt tiber die Akte 
und Massregeln der Unionsregierung einräume, sondern nur 
das Recht des Antrages auf Verfassungsänderungen. 
Die Einwendungen ihrer Mitverbündeten veranlassten 
beide protestirenden Staaten zu einer nochmaligen Prüfung 
der Rechtsfrage. 
In der Sitzung der Legislatur Virginiens von 1799 — 1800 
ward ein besonderer Ausschuss niedergesetzt, der durch Madison 
Bericht erstatten liess — ein Bericht, der später zu einem wesent- 
lichen Theil des Glaubensbekenntnisses der Staatenrechtspartei 
erhoben worden ist*. Er weist wiederum in langen Deduk- 
tionen und in enger Auslegung der Verfassung die Verfassungs- 
widrigkeit der beiden Ausnahmegesetze nach. Was ihn aber 
den spätern Parteibestrebungen werthvoll machte, das war der 
durch die historische Entwicklung und in streng juristischer 
Gliederung geführte Nachweiss, dass die Verfassung ein Vertrag 
zwischen den verbündeten Staaten sei, dass wie überall, wo 
in Vertragsverhältnissen “ein oberster Richter nicht bestehe, so 
auch hier die Vertragsparteien Richter in letzter Instanz 
darüber seien, ob der Vertrag eingehalten oder verletzt sei, 
dass endlich auch die Unionsgerichte nur innerhalb der vertrags- 
mässigen Kompetenzen und im Verhältniss der Organe der 
Unionsregierung untereinander, nicht aber ausserhalb jener 
Grenzen und im Verhältniss zu den kontrahirenden Staaten, zu 
dem souveränen Volk zur Auslegung der Verfassung berufen 
seien. Aber allerdings die praktische Spitze dieser Deduk- 
tionen biegt der Bericht vollkommen um. Nur die Erklärung 
einer rechtlichen Ueberzeugung sei beabsichtigt, nicht ein 
rechtsverbindliches und exekutionsfäbiges Urtheil. Die noth- 
‚wendigen und geeigneten Massregeln, zu deren Ergreifung die 
Staaten aufgefordert wurden, sie seien eine Gesammtpetition 
  
“Al.H. Stephens, a constitutional view of the late war between the 
states. I. pag. 576 ff.
	        
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