Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 153
in die volle Selbständigkeitder Einzelstaaten. Die juristischen
Formen können immer nur die Bedeutung der Hemmung
haben, welche dem Gesammtstaat und den Einzelstaaten
gegenüber den politisch möglichen Entwickelungen rechtlich
zusteht. Je erschwerter sie sind, — und am schwersten würde
die Verfassungsänderung ausschliesslich im Wege des Ver-
trages sein — desto mehr werden sie den gegenwärtigen Be-
stand sichern. Je leichter sie sind, — und am leichtesten
würde die Verfassungsänderung ausschliesslich von Bundes
wegen sein — desto mehr wird der Bestand des Bundesstaates
abhängig sein von den politischen Strömungen und Machtver-
hältnissen, die mit gleicher Kraft nach der Lockerung des
Bundesstaates und der Schmälerung seiner Kompetenzen, wie
nach der Uebermacht desselben und der weiten Ausdehnung
seiner Kompetenzen hintreiben mögen.
Die Behauptung, dass eine Form der Verfassungsände-
rungen, welche die Erweiterung der Kompetenzen wesentlich
nur an die regelmässigen Bedingungen der einfachen Gesetz-
gebung von Bundes wegen knüpft, den Begriff des Bundes-
staates in den Begriff des Einheitsstaates cum die — weil die
Bedingung eine sicher eintretende sei — umwandele und dass
diese Form eben darum die Präsumption gegen sich habe, ist
werthlos,
Wir bilden unsere politischen und rechtlichen Begriffe
nach dem gegenwärtigen Bestande der wesentlichen Merk-
male einer Erscheinung und nicht nach der Möglichkeit ihrer
künftigen Umbildung. Die Monarchie bleibt uns Monarchie
auch dann, wenn die formelle Möglichkeit sie auf verfassungs-
mässigem Wege in die Republik umzuwandeln nicht ausge-
schlossen ist.
Vor allen Dingen jene Behauptung ist nur eine politische
Voraussagung, gestützt auf die Werthschätzung der herrschen-
den politischen Kräftee Eine andere Schätzung oder ein
Wechsel der politischen Voraussetzungen kann dieselbe Form
des Bundesstaates und seiner Verfassungsänderungen genau
unter dem entgegengesetzten Gesichtspunkt, als den Ueber-