Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 163
tragsmässigen Einigung über jede, noch so dringende Kompe-
tenzänderung zu gewähren vermocht hätte.
Es blieb nur noch übrigdie Entstehungsgeschichte
des norddeutschen Bundes und insbesondere die des
Artikel 78 für dessen engere Auslegung zu verwerthen.
Hier ist es gewiss, dass die Grundzüge vom 16. Juni
1866 in ihrer Anlehnung an die bisherige Bundesverfassung
eine Aenderung der darin vorgesehenen Bundeskompetenzen
im Wege der Gesetzgebung ausschlossen #. Die nachfolgen-
den politischen Ereignisse machten jedoch eine Anlehnung
des norddeutschen Bundes an die bisherigen Bundesverhält-
nisse unmöglich. Sie bewirkten, dass das Bündniss vom 18,
August 1866 zwar die preussischen Grundzüge vom 10. Juni
# Art. II der Grundzüge lautet: „Die gesetzgebende Gewalt des
Bundes wird auf denjenigen Gebieten, welche derselben zuge-
wiesen sind, von dem Bundestage in Gemeinschaft mit einer periodisch
zu berufenden Nationalvertretung ausgeübt. Zur Gültigkeit der Beschlüsse
ist die Uebereinstimmung der Mehrheit des Bundestages mit der Mehrheit der
Volksvertretung erforderlich und ausreichend.* Hiernach findet eine Aus-
dehnung der Bundesgesetzgebung nicht Statt auf Gebiete, welche derselben
in a. VI, 1—11, a, VIll nicht zugewiesen sind und es ist dies nicht der Fall
mit Verfassungsänderungen jeder Art, sowohl rücksichtlich der Kompetenzen
als rücksichtlich der organischen Einrichtungen, in Uebereinstimmung mit dem
Auschluss von Majoritätsbeschlüssen über diese Gegenstände im deutschen
Bunde. Zur Evidenz geht dies hervor aus ‚„‚„der schriftlichen Auf-
aeichnung der vom königl. preuss. Gesandteninder Sitzung
des Bundestagsausschusses vom 11. Mai 1866 gemachten
vertraulichen Mittheilung‘‘ — wiederholt in der Circulardepesche
des k. preuss. Ministers der Ausw. Ang. an die k. Gesandtschaften bei den
deutschen Höfen vom 27. Mai 1866 —: „I. Die Reform der Bundesverfassung
wird sich — — auf folgende Punkte beschränken können: A. Einfügung
einer periodisch zu berufenden Nationalvertretung in den Organismus des
Bundes. Es wird durch diese Kombinirung erzielt werden, dass die Be-
schlussfassung der Nationalvertretung auf den dafür speziell be-
zeichneten Gebieten der künftigen Bundesgesetzgebung
die bisher erforderliche Stimmeneinheit unter den Bundesgliedern zu ersetzen
haben würde.“ — Staatsarchiv, Band XI. No. 2295. 2296. — Auf den nicht
speziell bezeichneten Gebieten blieb also das bisherige Erforderniss der Stim-
meneinheit.
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