Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 171
Eine volle Entscheidung für den Bereich des nord-
deutschen Bundes hrachten an letzter Stelle die Verfassungs-
verträge mit den süddeutschen Staaten. Hiernach wurden dem
Artikel 4 der Verfassung unter No.16 die Bestimmungen über
die Presse und das Vereinswesen hinzugefügt und damit,
formell unzweifelhaft 62, eine Erweiterung der Bundeskompe-
tenz bewirkt. Das entscheidende Präjudiz dieses Vorganges
ist im norddeutschen Reichstag ausdrücklish hervorgehoben
und anerkannt worden 63, Denn zu dieser Bundeskompetenz-
vollziehende und richterliche Gewalt gestattet es nicht in der Beaufsichtigung
und Gesetzgebung des Bundes über Handel und Handelsrecht eine Kompetenz
zur eigenen Gerichtsbarkeit in Handelssachen zu finden. Dieselbe kann auch
nicht aus der Beaufsichtigung und gemeinsamen Gesetzgebung über das gericht-
liche Verfahren hergeleitet werden. Allerdings ist der Bund zweifellos be-
rechtigt diejenigen Grundlagen der gerichtlichen Organisation gesetzlich fest-
zustellen und ihre Durchführung zu überwachen, ohne welche eine gemeinsame
Gesetzgebung über das gerichtliche Verfahren unausführbar ist, aber von der
gesetzlichen Regelung und Beaufsichtung der Gerichtsorganisation bis zur
Aufstellung eigener Gerichte zum Zwecke der Handhabung einer eigenen Ge-
richtsbarkeit des Bundes ist ein weiter, durch keine verfassungsmässige Be-
stimmung ausgefüllter Sprung. Deshalb konstatirte denn auch der Bundes-
bevollmächtigte von Friesen in der Reichstagsdebatte vom '10. April 1869
(Sten. Ber. pag. 293) ‚‚den Umstand, dass der vorliegende Gesetzentwurf
(über das Bundesoberhandelsgericht) in der Sitzung des Bundesrathes mit
einer Stimmenmehrheit angenommen worden ist, die weit über zwei Drittel
der Stimmen hinausgeht und dass in Folge dessen auch diejenigen Mitglieder,
die anfänglich einige Zweifel gegen die Kompetenz hegten, diese Zweifel
haben fallen lassen. Ich glaube damit wird wohl die Frage wegen der Kom-
petenz ihre Erledigung gefunden haben‘‘. — Gleicher Ansicht Thudichum,
Verfassungsrecht, pag. 243. .
62 Materiell würde man bei der weiten Deutung, welche das Bundes-
gesetz vom 3. Juli 1869 der Kompetenz aus dem Staatsbürgerrecht (a. 4 No. 1)
gab, behaupten können, dass Presse und Vereinswesen unter die bestehenden
Kompetenzen des norddeutschen Bundes fielen, insbesondere in Verbindung
mit den Kompetenzen über Strafrecht und gerichtliches Verfahren.
63 Von Windthorst und Lasker in der 2. ausserordentlichen Ses-
sion des nd. Reichstages von 1871. Sten. Ber. pag. 78. 79. 80. 84. Frei-
lich versuchte von Brauchitsch die rechtliche Zulässigkeit des Uebergehens
der Einzellegislaturen für den einzelnen Fall, ‚,um das Zustandekommen des