Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 187
Theilnehmungsrechte und insbesondere das Stimmgewicht der
einzelnen Bundesglieder bildeten den Inhalt eines „Grundver-
trages“. Jede Aenderung jedes dieser Punkte bedurfte der
Zustimmung aller verbündeten suveränen Staaten.
Wenn trotzdem Artikel 7 der Bundesakte vom 8. Junil815
in offenbarer Anlehnung an die Bestimmung des ÖOsna-
brückischen Friedensinstrumentes wie Religionsangelegen-
heiten, so „jura singulorum“ von einer Beschlussfassung durch
Stimmenmehrheit ausschloss, so bemerkt das Komissionsgut-
achten vom 29. Juni 1819 mit Recht, dass der Grund dieser
Ausnahme kein anderer sein könne, „als die Gleichheit der
Rechte und Pflichten der Bundesglieder auch dann, wo
nicht von Grundgesetzen die Rede ist, gegen
eine mögliche Verletzung durch Ueberstimmung zu bewahren“.
Demgemäss bestimmte denn die Wiener Schlussakte a. 15:
„In Fällen, wo die Bundesglieder nicht in ihrer vertrags-
mässigen Einheit, sondern als einzelne, selbständige und un-
abhängige Staaten erscheinen, folglich jura singulorum ob-
walten oder wo einzelnen Bundesgliedern eine besondere,
nicht in den gemeinsamen Verpflichtungen Aller begriffene
Leistung oder Verwilligung für den Bund zugemuthet werden
soll, kann ohne freie Zustimmung sämmtlicher Betheiligten
kein dieselben verbindender Beschluss gefasst werden“.
In dem ganzen Zusammenhang des Bundesrechtes und
abgesehn von dem in dem letzten Passus hervorgehobenen
besondern Falle”®, lag weder praktisch noch theoretisch das
Bedürfniss vor, das im Einzelnen zu deduciren, was unter Jura
singulorum begriffen sei. Sie waren gedeckt durch. das Er-
7% D. h. während regelmässig die Frag+ der jura singulorum identisch
jst mit der Frage der Bundeskompetenz, wird in diesem besondern Fall die
Bundeskompetenz an sich vorausgesetzt, aber dergestalt, dass der darauf ge-
gründete Beschluss dem Bundesgliede eine besondere Leistung oder Verpflich-
tung ansinnt. So die Stellung eines den matrikularmässigen Anschlag über-
schreitenden Kontingentes oder Geldprästandums, die besondere Verpflichtung
zur Besatzung, einer Bundesfestung. S. Zachariä, Deutsches Staats- und
Bundesrecht, 1I. $ 260, Note 11.