Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 22]
zufällig konkurrirende Umstände die Stimmabgabe im Bundes-
ratlı ohne Rücksicht auf ihr Ja oder Nein und auf ihren Erfolg
als pflichtwidrig und gesetzwidrig erscheinen lassen können
z. B. Instruirung und Abgabe der Stimmen der Bevollmächtig-
ten ohne oder gegen den Willen des Staatsoberhauptes oder
unter Bestechung.
Die Frage, die hier allein zutrifft und darum allein zur
Entscheidung steht, beschränkt sich auf die rechtliche Zulässig-
keit, die Verantwortlichkeit der Minister nach Landesrecht in
rechtlichen Formen und mit rechtlichen Folgen geltend machen
zu können allein unter der doppelten Voraussetzung,
dass ein Reichsgesetz rechtsgültig erlassen wurde und
dass Jdie Stimme des Einzelstaates im Bundesrathe dafür
abgegeben wurde.
Eine solche Verantwortlichkeit findet schlechterdings
nicht statt auf Grund der Behauptung einer Gesetzes- oder
Verfassungsverletzung. Denn ein rechtsgültiges Reichsgesetz
ist erlassen kraft der Ermächtigung der Reichsverfassung, auch
solche Reichsgesetze zu erlassen, welche die Landesverfassung
und Landesgesetze abändern oder aufheben. Eine solche
Aenderung oder Aufhebung und die reichsverfassungsmässige
Mitwirkung der berufenen Organe und ihrer Mitglieder kann
und darf daher niemals als eine Verletzung der Landesver-
fassung und Landesgesetze von irgend welcher landesrecht-
lichen Instanz qualifizirt werden.
Eine solche Verantwortlichkeit findet aber regelmässig
auch nicht statt auf Grund der Behauptung einer Schädigung
wesentlicher Interessen des Landes. Denn selbst die Rich-
tigkeit der Tatsache vorausgesetzt, so ist es Recht und Pflicht
des Einzelstaates, eintretenden Falles das Einzelinteresse dem
Interesse der Gesamnitheit zum Opfer zu bringen und es ist
ausschliesslich Sache der Organe des Reiches darüber zu be-
finden, was das Interesse der Gesammtheit fordert. Mit den
Erlass des rechtsgültigen Reichsgesetzes ist darüber endgültig
entschieden. Es kann keiner Instanz eines Einzelstaates das
Urtheil zustehn, dass ein Reichsgesetz nicht erforderlich war