254 Viertes Kapitel.
Natur und Wirkung eine verschiedene rechtliche Beurtheilung
zu finden. |
1. Betrachten wir zunächst die den Text des Verfassungs-
gesetzes erläuternden Vereinbarungen, so ist ihre recht-
liche Wirkung nicht die, neben dem allgemeinen aus der
Verfassung fliessendem Rechtsverhältniss ein hiervon verschie-
denes, rein vertragsmässiges Rechtsverhältniss zwischen dem
norddeutschen Bunde, jetzt dem deutschen Reiche einerseits
und den vertragenden süddeutschen Einzelstaaten andererseits
zu begründen.
Dass dies nicht der Fall sei tritt am Deutlichsten hervor
bei den vereinbarten Erläuterungen gemeingültiger
Verfassungsbestimmungen. Es kann nicht angenommen wer-
den, dass diese Erläuterungen eine verbindende Kraft nur
haben sollen im Verhältniss zu den stipulirenden Einzelstaaten
und dass damit die nämliche Bestimmung der Verfassung flir
die verschiedenen Bundesglieder eine verschiedene Anwen-
dung erleiden könne. Ausdrücklich spricht dagegen die
Formulirung: „als unbestritten wurde zugegeben“, „es wurde
allseitig anerkannt“, es wurde bemerkt, „dass das Bundesprä-
sidium schon bisher in diesem Sinne verfahren habe '3*. Und
wenn der norddeutsche Reichstag der ursprünglichen Erläu-
terung zur Gesetzgebungsbefugniss des Reiches über „Staats-
bürgerrecht“ im bairischen Schlussprotokoll II., welche eine
Geltung rückwärts für den norddeutschen Bund zu beanspruchen
schien, eine Wendung im Futurum gab'4, so hatte das nur in
der Voraussetzung Sinn, dass die statuirte beschränkende In-
terpretation nicht nur für das stipulirende Baiern, sondern für
alle Bundesglieder Geltung haben soll. Ja es ist zu. sagen,
dass von dieser beschränkenden Interpretation des „Staats-
bürgerrechtes“ bereits Anwendung gemacht war, als man die
Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen als eine
Erweiterung der Reichskompetenz qualifizirte. Denn da die
13 Bairisches Schlusspr. VI. XII. Badisch-Hessische Verh. No. 6.
14 Zweite ausserordentliche Session des norddeutschen Reichstages. Sten.
Ber. pag. 147. 148. 163. 164.