258 Fünftes und Schlusskapitel.
Wenn dies der leicht zu begründenden Anforderung wider-
spricht, die verfassungsmässigen Kriterien für die Gültigkeit
eines Gesetzes in dem Tenor desselben bezeugt zu sehn, so
widerspricht es der dem Wesen des Bundesstaates entsprin-
genden Nothwendigkeit einer vollen Klarstellung: der ver-
fassungsmässigen Ermächtigungen des Reiches einerseits und.
der Rechtsstellung der Einzelstaaten andererseits, wenn eine
Aenderung der Verfassung sich nicht in einer Aenderung
des Textes oder in einem Zusatze zu der Verfas-
sungsurkunde ausspricht, wenn sie nicht die äussere:
Scheidung zwischen Verfassungsgesetz und einfachem Gesetze:
aufrecht erhält. Aber auch diese Anforderung lässt sich aus-
dem Wortlaute der Verfassung nicht ableiten. So haben die
Aenderungen der norddeutschen Verfassung durch den Zoll-
und Handelsvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 die Erweiterung
der Bundeskompetenz, durch die Errichtung eines obersten
Gerichtshofes für Handelssachen, die Uebertragung eines
Theiles der nach der Verfassung dem‘Kaiser zustehenden
Regulativgewalt auf den Bundesrat durch das Gesetz vom
28. Oktober 1871 über das Postwesen des deutschen Reiches !!,
die Aenderungen der Verfassung durch den Eintxitt von
Elsass-Lothringen in das deutsche Reich einen Ausdruck in
der Verfassungsurkunde nicht gefunden; sie sind zum Theil.
ununterschiedene Bestandtheile einfacher Gesetze.
Am Wenigsten lässt sich aus der Verfassung die Behaup-
tung rechtfertigen 12, dass bereits die Vorfrage, ob einGe-
setzentwurf eine Verfassungsänderung zum. Inhalt habe und
darum die erschwerten Formen zu seiner Rechtsgültigkeit:
fordere oder ob dies nicht der Fall sei, nur durch die im
78. Verfassungsartikel vorgeschriebenen Majoritäten im Bun-
desrathe entschieden werden könne. Denn diese Majoritäten
sind nur vorgeschrieben unter der zutreffenden V.oraus-
11 8 50 dieses Gesetzes verglichen mit Artikel 50, Al. 2. der Reichsver-
fassung.
2 Hiersemenzel, die Verfassung des norddeutschen Bundes pag. 9.
A. Allgemeine Zeitung 1871. No. 349,