Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Erster Band. Die vertragsmäßigen Elemente der Deutschen Reichsverfassung. (1)

Allgemeine Erörterungen. 55 
a. Daher giebt es rechtlich kein Bundesbürgerrecht neben 
dem Staatsbürgerrecht 3%; das Bundesbürgerrecht ist nur das 
unter einem gewissen Gesichtspunkt betrachtete Landesbürger- 
recht. — Dies, obwohl die Reichsverfassung nicht nur den 
Angehörigen eines Staates Rechte in den andern Bundesstaaten 
verbürgt, sondern den „Deutschen“ den diplomatischen 
Schutz des Reiches gegenüber dem Ausland, das Recht Mit- 
glieder des Reichstages als Vertreter des gesammten Volkes 
zu wählen, das Recht der Beschwerde gegen den eigenen 
Heimathsstaat zur Entscheidung des Reiches zuspricht; obwohl 
die Unterscheidung zwischen Reichsangehörigkeit und Staats- 
angehörigkeit, wie sie $1 des Reichsgesetzes vom 1. Juni1870 
trifft, unter der gemachten Voraussetzung gerade dann ohne 
Sinn ist, wenn der Erwerb und Verlust der erstern an den 
Erwerb und Verlust der letztern geknüpft ist. 
b. Daher gelten die Reichsgesetze lediglich als Gesetze 
des Einzelstaates, zu deren Verkündigung an sich die Bundes- 
staaten berechtigt und verpflichtet wären, wenn sie nicht ver- 
tragsmässig übereingekommen wären, die Verkündigung von 
Reichswegen geschehen zu lassen um der Verkürzung willen, 
und damit die strenge Einhaltung der vertragsmässigen Ver- 
pfliehtung und das gleichzeitige Wirksamwerden der Ge- 
setze gesichert sei 57”. — Dies, obwohl die Reichsverfassung, 
wenn sie erst das Vorgehen der Reichsgesetze vor den Landes- 
gesetzen und alsdann die Verkündigung von Reichwegen an- 
ordnet, die Annahme einer latenten Identität von Reichsgesetz 
und Landesgesetz und einer latenten, die Rechtsverbindlichkeit 
vermittelnden Vertragspflicht der Bundesstaaten grundsätzlich 
auszuschliessen scheint. 
c. Daher hat das Reich ein Exekutionsrecht lediglich 
gegen die einzelnen Staaten als solche; eine unmittelbare Ein- 
wirkung auf die innern Angelegenheit derselben ist ihm ver- 
schlossen ; ein einfacher Befehl des Reiches an die Behörden 
55 Seydel in der Zeitschrift pag. 242 ff. Commentar pag. 43 ff. 
5’ Seydel in der Zeitschrift pag. 223. 231. Commentar, pag. 39. 124.
	        
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