66 Erstes Kapitel.
den können #3, Der Gesammtstaat und die Einzelstaaten stehn,
jeder in seiner Sphäre, nicht schlechthin im Verhältniss der
Nebenordnung. Der Gesammtstaat stellt sich im Verhältniss
zu den Einzelstaaten als eine übergreifende Potenz dar, inso-
fern er nicht nur berufen ist, die ihm zur unmittelbaren Ver-
wirklichung überwiesenen Aufgaben als ein Glied des Ganzen
zu lösen, sondern zugleich berufen ist, das Ganze selbst zu
wahren und als solches fortzubilden.
Das Unterscheidungsmerkmal des Bundesstaates vom
Einheitsstaate kann nicht in der Annahme einer nur dem
Umfange nach beschränkten Suveränetät der Einzelstaaten
neben dem beschränkten Umfange der Suveränetät des Ge-
sammtstaates gefunden werden, sondern nur in einer so losen
Gliederung des Ganzen, dass die Einzelstaaten, den Begriff
der Selbstverwaltung durchbrechend, nach der Weise eines
Staates d. h. zu eigenem Rechte und nach eigenen Gesetzen
staatliche Aufgaben vollziehn. Aber auch so vollziehn sie
diese Aufgaben nur in den verfassungsmässigen Grenzen und
unter den verfassungsmässigen Bedingungen, welche die Ein-
ordnung in ein Ganzes erheischen.
Man hat im Bundesstaate den Gesammtstaat einerseits,
die Einzelstaaten andererseits und als ein Drittes den Bundes-
staat selbst, als die Nebenordnung der beiden ersten in voller
Selbständigkeit und darum Aeusserlichkeit unterschieden.
Allein hat der Gesammtstaat zugleich die Funktion, die Einzel-
staaten einem Ganzen als Glieder einzureihn und diese Glie-
derung dauernd und fortbildend zu erhalten, so ist um dieser
seiner Funktion willen, die ihm neben der unmittelbaren
Erfüllung der ihm zugewiesenen Staatsaufgaben obliegt, der
Gesammtstaat nicht etwas von dem Bundesstaat Verschiedenes,
sondern der Bundesstaat selbst.
63 Waitz, Politik pag. 213: ‚‚Ueberall ist der Gesammtstaat selbst nur
ein Staat wie die Einzelstaaten, freilich nicht räumlich, aber dem Begriff und
Recht nach diesen nebengeordnet‘‘. Es ist das der prägnante Ausdruck für
die herrschende Lehre.