Allgemeine Erörterungen. 67
Unter dieser Auffassung, aber allerdings auch nur unter
dieser, finden wir den Begriff des Staates voll und ohne Be-
raubung seiner wesentlichen Merkmale im Bundesstaate,
aber allerdings auch nur in diesem wieder.
Es ist gewiss, dass diese Auffassung nicht nur mit der
vertragsmässigen Auffassung der Reichsverfassung und des
dadurch erzeugten Gesammt-Rechtsverhältnisses nach den
Lehren Calhoun’s unvereinbar ist, sondern dass sie schon dann
als unrichtig zurückgewiesen werden müsste, wenn wir ver-
tragsmässige Elemente auch nur in dem Umfange nachweisen
müssten, in welchem wir die Frage um der Untersuchung
willen gestellt haben.
Müssten wir zur vollen Bejahung der Frage gelangen,
dann werden wir im deutschen Reiche noch immer nicht ein
rein vertragsmässiges Rechtsverhältniss der Einzelstaaten
erkennen, aber wir werden eine schwere Wahl haben.
Wir könnten vielleicht im deutschen Reiche eine eigen-
thümlich gewandte völkerrechtliche Korporation erblicken
und dasselbe damit dem Staatenbunde annähern.
Oder wir müssten uns entschliessen, dem Begriffe des
Staates, wie herkömmlich, in Anwendung auf den Bundesstaat
eine Erweiterung zu geben, die ihn wesentlicher Merkmale
beraubt und darum wissenschaftlich werthlos macht.
Oder wir könnten uns an dem Versuche betheiligen $%,
den Begriff des Staates als den Musterbegriff aller politischen
Wissenschaften, als der er bisher galt, aufzugeben und ihn
mit irgend einem andern um der erforderlichen Konstruktion
willen zu vertauschen.
Der Verlauf der Untersuchung mag entscheiden.
——
“4 Meyer, Staatsrechtliche Erörterungen pag 2 ff.
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