23] $ 3. Der Begriff des Rechtssatzes. 119
So bedarf es denn für die feste und unzweideutige Be-
griffsbestimmung des Rechtssatzes nur der Begrifisbestimmung
des objektiven Rechtes.
Allein auch hier stehn wir vor einem Begriffe, der einer
weitern Verdeutlichung nicht bedarf.
Grewiss — auch der Begriff des objektiven Rechtes ist
der wissenschaftlichen Begründung und Vertiefung fähig und
bedürftig.
Sie wird die Anschauung zurückweisen, als ob das ob-
jektive Recht überhaupt, als ob das Gesetz, das vom Staate
erzeugte objektive Recht eine Abstraktion sei, welche nur
als Gedankeninhalt über den allein realen Willensverhältnis-
sen, die das subjektive Recht ausmachen, schwebte. Alles ob-
jektive Recht, jedes Gesetz ist lebendige Willensbestimmung.
Es ist nicht das todte Produkt einer Willensbildung, wie das
Werk der Hände. Es ist nicht der Buchstabe und das Blatt
Papier, in denen es dargestellt wird. Es ist seiner begriff-
lichen Absicht nach, die sein Wesen bildet, gegenwärtiger
Inhalt des Willens aller Derer, die berufen sind, es zu be-
folgen und zu handhaben. Freilich weisen unsere Willens-
bestimmungen die nämliche Erscheinung auf, wie unser Wis-
sen und Fühlen. Wie der Schatz der Vorstellungen und Ge-
fühle, die die unserigen sind, bald über die Schwelle unseres
Bewusstseins hervordrängen und bald unter dieselbe hinab-
sinken, so auch die Willensbestimmungen, welche die Grund-
sätze unseres Handelns bilden. So denn auch die Rechts-
grundsätze, die Gesetze. Sie sind nicht minder eigenstes
Eigenthum, lebendige Kraft Derer, die es angeht, weil sie
nicht aller Orten und aller Zeiten im Bewusstsein hervortre-
ten. Sie werden nur von Denen, die es angeht, und unter
den Umständen, die sie im Voraus bestimmen, reproduzirt,
erweckt — nicht als ein Neues, bisher nicht Vorhandenes,
sondern als eine bestandene und ständig spannende Kraft.
Sie sind todt und abgethan, wenn sie in der Rechtsgemein-
schaft diese ihre Reproduktionsfähigkeit verlieren oder wenn
denjenigen, die sie wieder zu erwecken berufen sind, die Au-