Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Zweiter Band. (2)

170 8 7. Die Form des Gesetzes selbst. [74 
Der Gesetzgeber spricht sich aus über Motive, die. ihn 
leiten, er verkündigt den Erfolg, den er zu erreichen wünscht 
und hofft, er entwickelt das politische Programm, dem seine 
gesetzgeberischen Anordnungen dienen sollen, er giebt den Ge- 
fühlen Ausdruck, die ihn bewegen und sucht die Gefühle bei 
den Unterthanen zu erwecken, die den Gehorsam, ja die Freu- 
digkeit des Gehorsams bewirken können. Insbesondere — 
der Gesetzgeber legt sich auch die Aufgabe bei als Lehrer 
und Erzieher wirksam zu sein. Er stellt wissenschaftliche 
Behauptungen, Lehrsätze, Definitionen, erläuternde Beispiele 
auf und zwar in der Absicht, dadurch eine Anleitung zur 
wissenschaftlichen Behandlung des Rechtes zu geben. Ja er 
vermisst sich als Priester oder Moralist die Glaubenssätze, die 
wahrer Religiosität entsprechen und die Gesinnungen, die 
einem guten Menschen wohl anstehn, vorzuschreiben. 
Das alles sind Dinge, die allen Juristen zu allen Zeiten 
geläufig gewesen sind. Seligmann hatte es nicht nöthig, um 
uns dies in drastischen Beispielen zu erhärten, auf den Code 
civil Ottoman und auf den Code penal Ottoman und den nou- 
veau Code du Montenegro zurückzugreifen. Es hätte die Ver- 
weisung auf die byzantinische Verkümmerung der gesetz- 
geberischen Kunst in den Justinianeischen Gesetzbüchern voll- 
kommen genügt, welche gerade darum untauglich sind, um an 
ihnen die normalen Massstäbe für die Interpretation unserer 
modernen Gesetze zu entwickeln. 
Aber in allen diesen Dingen ist von einem menschlichen 
Wollen überhaupt, ist von einem gesetzgeberischen Wol- 
len, von einem Gebieten, Verbieten, Berechtigen oder Ermäch- 
tigen insbesondere keinerlei Rede. Der Gesetzgeber hat bei 
dem Allen — und ich spreche allerdings zunächst nur von 
dem vernünftigen Gesetzgeber — und er kann bei dem Allen 
gar nicht die Absicht haben anzuordnen, zu befehlen. 
Damit ist es gesagt, dass alle Sätze des geschilderten In- 
haltes die Form des Gesetzes weder haben noch haben kön- 
nen noch auch nach der Absicht des Gesetzgebers haben sol- 
len. Sie stehn mit dieser in logischem und sprachlichem
	        
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