198 $ 9. Der Begriff der Verwaltung. [102
Diese Relativität der Begriffe ist es, die in jedem kon-
kreten Staatswesen die Abgrenzung der Gesetzgebung von der
Vollziehung dem positiven Rechte anheimstellt. Und zwar
wird dieselbe durch ein Doppeltes bewirkt.
Einmal durch die Generalisirung und Spezialisirung der
Gesetzgebung. Diese kann sich darauf beschränken, die leiten-
den Grundsätze und die allgemeinen Richtungen festzustellen,
nach denen sich die Thätigkeit des Staates zu entfalten hat.
Hier verbleibt die Entwicklung der Folgesätze, die Erledigung
der konkreten Fälle innerhalb allgemeiner Ermächtigungen
nach den zutreffenden Erwägungen des Nothwendigen und
Nützlichen der Vollziehung überlassen. Die Gesetzgebung
kann aber auch die Entwicklung der aufgestellten Grundsätze
bis in ihre Folgesätze hinein und die Auflösung der Ermäch-
tigungsklauseln in detaillirte, bindende Vorschriften überneh-
men. Hier ist die Vollziehung streng gebunden an die logi-
schen Operationen der Gesetzesanwendung.
Das andere Mal wird die Abgrenzung zwischen Gesetz-
gebung und Vollziehung dadurch eigenthümlich gestaltet, dass
das positive Recht nicht blos Ermächtigungen zu Folgerungen
und zu freien Entschliessungen in konkreten Fällen, sondern
Ermächtigungen zu selbständigen regulativen Vorschriften er-
theilt, welche darum, weil der Erlass derselben erfolgen darf
nur innerhalb solcher Grenzen, auf solchen Gebieten und in
solchen Richtungen, welche die Gesetzgebung zulässt oder vor-
schreibt, als gebundene Willensakte der Vollziehung (der voll-
ziehenden Verwaltung) betrachtet werden können und betrach-
tet werden. Hier stellt sich der Gesetzgebung das Recht der
Vollziehung zu gesetzesvertretenden, zu „Rechtsverordnungen“
zur Seite.
Daraus ergiebt sich, dass zwar die Gesetzgebung niemals
die der Vollziehung eigenthümlichen Akte der unmittelbaren
Verrichtungen, wohl aber dass die Vollziehung der Gesetz-
gebung vollkommen gleichartige Willensakte enthalten kann.
Freilich kann sie dies letztere nur unter der Bedingung, die
ihren Begriff ausmacht, nämlich unter Bindung an die Ge-