218 $ 12. Recht und Staat. [122
Die Leugnung des Rechtes im Völkerrecht ist Nichts als
eine Verkümmerung seines Begriffes um einer ungenügenden
abstrakten Formel willen. Die Behauptung, dass das Recht
dem Staate seinen willkürlichen Ursprung verdanke, ist Nichts
als ein Rest des individualistischen Rationalismus, der in der
Gesellschaft und darum im Rechte nicht sowohl eine Bethä-
tigung und Erfüllung, sondern eine Beschränkung und Ver-
minderung der ursprünglichen Freiheit des Menschen erblickte
— nur dass diese abstrakte Auffassung, angewandt auf eine
Erscheinung, die nur Gesellschaft ist, doppelt fehlerhaft ist.
Und man halte dem nicht die Erscheinungen der Despo-
tie, des Absolutismus, der Staatsstreiche, der Revolution, der
Suveränetät des Staates entgegen. Abgesehn von der schwie-
rigen Frage, wieweit pathologische Erscheinungen überhaupt
zur Bildung normaler Begriffe verwerthet werden können, be-
ruhn die Einwände auf unvollständigen Analysen. Als ob die
Despotie, die mehr ist als das Verhältniss des Sklavenhal-
ters zur Sklavenheerde, nicht auf einer, zwar bis zur Unge-
heuerlichkeit ausgeweiteten, aber doch immerhin gesellschaft-
lich anerkannten und also rechtlichen Ermächtigung beruhte.
Als ob die Formel des Absolutismus: princeps legibus so-
lutus für das vom Herrscher gesetzte Recht etwas anderes be-
deutete, als was Laband vom Verordnungsrecht im konstitu-
tionellen Staat — Archiv I, pag. 187 — dahin aussagt: „Der
Monarch hat nicht den Freibrief, die von ihm erlassenen Ver-
ordnungen zu verletzen, sondern die rechtliche Befugniss sie
aufzuheben.“ Als ob Staatsstreich und Revolution etwas
Anderes wären als der gelingende oder misslingende Versuch,
einem neuen Rechte Anerkennung zu verschaffen. Freilich
mischen sich hier überall dem Verbrecherthum analoge Er-
scheinungen ein. Dasselbe bricht das Recht in der Voraus-
setzung, dass alle Welt es ihm selber hält. Am Wenigsten
endlich darf man die Suveränetät, das Recht und die Macht
des Staates, die Rechtsordnung sich selbst zu gestalten, für
die Zufälligkeit des Rechtes im Verhältniss zum Staate .ver-
werthen. Auch der einzelne Mensch gestaltet sich die phy-