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z. B. dem Wohnsitz des Steuerpflichtigen, in einem bestimm-
ten Lokale z. B. nur im Gemeindehause und nicht etwa in
der wechselnden Wohnung des Steuerempfängers, zu erfolgen
habe, so würde der eigene Grundsatz Seligmann’s dies für
Rechtssätze und ihre Änderungen als weitere Rechtssätze an-
erkennen müssen. Es ergiebt sich daher auch in diesem Falle,
dass aus der übertriebenen, ja lächerlichen Spezialisirung einer
Vorschrift schlechterdings Nichts für die rechtliche Natur der-
selben gefolgert werden kann. Die Technik der Gesetzgebung
kann sich ebenso in verkehrten Generalisirungen wie in ver-
kehrten Spezialisirungen vergreifen.
Gewichtiger ist es, dass die Bestimmungen Seligman’s,
in ihrem vollen, wohl nicht beabsichtigten Wortlaute aufge-
fasst, weit genug sind, um die Kardinalsätze des konstitutio-
nellen Staatsrechtes, welche die Gesetzgebung von dem Ver-
ordnungsrechte abgrenzen, aus dem Begriff der Rechtssätze
herausfallen zu lassen. Denn die „organisatorischen Normen“,
welche zu diesem Behufe die Kompetenzen der gesetzgebenden
und vollziehenden Organe feststellen und abändern, bewirken
für die Unterthanen keinerlei neue Rechte oder neue Pflich-
ten. Das geschieht erst durch die auf Grund der organisa-
torischen Normen wirklich erlassenen Gesetze oder Verord-
nungen, ja dies nicht einmal nothwendig, dann nämlich nicht,
wenn dieselben nur „Verwaltungsvorschriften“ enthalten.
Aber auch abgesehen hiervon — es bleibt eine unabseh-
bare Summe von Vorschriften, die zwar nur der innern Or-
ganisation angehören, die aber trotzdem für die Rechtsordnung
des Staates nicht weniger als wesentliche bisher gegolten ha-
ben und gelten müssen, wie solche organisatorischen Normen,
welche die Rechte und Pflichten der Unterthanen berühren.
Jede, auch nur die flüchtigste Durchsicht irgend einer Ver-
fassung erhärtet dies. Ich erinnere für die Reichsverfassung
an die Bestimmungen über die Bundesrathsausschüsse, über
die Rechte der einzelnen Bundesrathsmitglieder im Bundes-
rathe selbst und im Reichstage, über die Rechte des Kaisers
zur Berufung, Eröffnung, Schliessung, Auflösung von Bundes-
Haenel, Studien. I. 15