Die Stellung des Reichskanzlers im Bundesrathe. 25
Preussen ernannter Bevollmächtigter zum Bundesrathe, son-
dern mit der Eigenschaft als kaiserlicher Beamter, als Reichs-
kanzler ist nach dem klaren Wortlaut des a. 15 die Stellung
des Vorsitzenden im Bundesrath verfassungsmässig verbunden.!
1 Auch Laband, Staatsrecht I, 274 sagt: Die Reichsverfassung
„knüpft den Vorsitz im Bundesrathe nicht an die Eigenschaft, preussi-
scher Bevollmächtigter zu sein, sondern an die Eigenschaft, Reichs-
kanzler zu sein“. Auf der folgenden Seite aber beruft er sich auf das
bayerische Schlussprotokoll vom 23. Nov. 70 Ziff. IX („Der kgl. preuss.
Bevollmächtigte erkannte es als ein Recht der bayerischen Regierung
an, dass ihr Vertreter im Falle der Verhinderung Preussens den Vor-
sitz im Bundesrathe führe“) und folgert daraus: „dass der Vorsitz im
Bundesrathe nicht auf dem Amte des Reichskanzlers ruht, sondern ein
Recht „Preussens“ ist, sowie das Vicepräsidium ein Recht Bayerns ist“.
Allein dies ist, wenn nicht geradezu falsch, doch missverständlich. Das
Schlussprotokoll bezieht sich lediglich auf die Substitutionsbefugniss des
Reichskanzlers. Hält man dies fest, so ergiebt sich folgender Sachver-
halt. Der Vorsitz im Bundesrath ist verfassungsmässig ein Recht des
Reichskanzlers neben seiner Leitung der Reichsgeschäfte;, das Recht
der Ernennung zu diesem Vorsitze steht mit der Ernennung zum Reichs-
kanzler dem Kaiser zu. Im Rechte des Vorsitzes ist verfassungsmässig
das Recht der Substitutionsbefugniss, d. h. der Ernennung eines Vice-
präsidenten, beliebig aus sämmtlichen Bevollmächtigten des Bundesraths,
enthalten. Durch das Schlussprotokoll hat dies die Beschränkung er-
fahren, dass, wenn der Reichskanzler nicht einen Bevollmächtigten
Preussens zum Vicepräsidium beruft, Bayern damit betraut werden muss.
Damit ist nicht „Preussen“ ein Recht auf das Präsidium, auf den
Vorsitz in diesem Sinne zugesprochen, sondern nur ein Vorzugsrecht
seiner Bevollmächtigten bei Bestellung eines Vicepräsidium vor
Bayern, wie diesem vor den übrigen Staaten. Allerdings ist die Fassung
des Schlussprotokolls zweideutig; dem Wortlaute nach könnte es nicht
nur eine Regelung der Substitutionsbefugniss des Reichskanzlers, eine
Zusage für die Ausübung desselben, sondern die Feststellung eines
davon unabhängigen selbständigen Rechtes Bayerns auf das Vicepräsi-
dium beabsichtigen. Allein wäre letzteres der Fall, so hätte eine Modi-
fikation der Verfassung stattgefunden, die nicht in das Schlussprotokoll,
sondern in den Text des Verfassungsvertrages hätte aufgenommen werden
müssen, ebenso wie z. B. die Rechte Bayerns in den Bundesrathsaus-
schüssen. Dass der kgl. preussische Gesandte die Zusicherung er-
theilt, ist irrelevant, denn er spricht nach dem Eingange des Protokolls
überall nur „Namens des norddeutschen Bundes“.