Die Stellung des Reichskanzlers im Bundesrathe. 29
wenn auch die Ernennung zum Reichskanzler durch den Kaiser
die Ernennung zum Präsidenten des Bundesrathes in sich
schliesst, so wird dieser doch zugleich — freilich kraft ver-
fassungsmässiger Pflicht — vom König von Preussen zum Be-
vollmächtigten Preussens ernannt.!
Immerhin bleibt die Ernennung des Präsidenten des
Bundesrathes eine besondere Einwirkung des Kaisers als
solchen auf die Zusammensetzung des Bundesrathes, die ein
neues Element bildet im Vergleich zu dem Verfassungsentwurf,
der dasselbe in seiner Fassung der Artikel 6 und 7 nicht vor
Augen hatte. Uebrigens findet eine solche, bei der bestehenden
Organisation des Bundesrathes immerhin ausserordentliche
Einwirkung auch statt, insofern der Kaiser die Mitglieder
des Ausschusses für das Landheer und die Festungen — mit
!) Die Beziehung der „Präsidialstimme‘“ — aa.5. 7. 37. — auf das
Präsidium nicht des Bundes, sondern des Bundesrathes geht aus der
Reichsverfassung mit doppelter Deutlichkeit hervor. Hätte die Bezie-
hung auf das Bundespräsidium Platz greifen sollen, so müsste nach
der Terminologie der Reichsverfassung die Präsidialstimme eine „kaiser-
- liche“ sein. Denn diese hat das Wort Präsidium, wo es Bundes-
präsidium ist, überall durch „Kaiser“, „kaiserlich‘ ersetzt und dasselbe
ganz richtig nur in den aa. 7 und 8 beibehalten, wo es sich um das
Bundesrathspräsidium handelt. Und zwar ist dies auch im Art. 8
der Fall: „In jedem dieser Auschüsse werden ausser dem Präsidium
mindestens vier Bundesstaaten vertreten sein“. Denn die Absicht dieses
Satzes ist es in erster Linie auszusprechen, dass das Bundesraths-
präsidium seine Verlängerung in den Bundesrathsausschüssen — selbst-
verständlich mit Vorbehalt der besonderen Bestimmungen über den
Ausschuss für die auswärtigen Angelegenheiten — findet; das Präsidium
des Bundesraths gewährt zugleich das Präsidium in den Ausschüssen.
Dies erkennt auch die Geschäftsordnung des Bundesrathes — IV.$ 19 —
ausdrücklich an. Salopp ist es nur, wenn damit der Schein einer Ver-
tretung des Präsidiums als solchen erweckt wird, oder wenn die Ge-
schäftsordnung des Bundesrathes gar von einem „Bevollmächtigten des
Präsidiums‘ spricht. Vertreten, bevollmächtigend ist immer nur Preussen,
nur dass dessen Vertretung, Bevollmächtigter mit dem Präsidium des
Bundesrathes verknüpft ist. — Unrichtig nach Obigem ist die Behaup-
tung Laband’s, Staatsrecht I, 209, dass in der Reichsverfassung beide
Ausdrücke, Präsidium und Kaiser, dasselbe bedeuten.