Die Substitutionsbefugniss des Reichskanzlers. 33
zwischen dem „Vorsitz im Bundesrath“ und der „Leitung
der Geschäfte“, welche letztere ausserhalb einer Beziehung auf
den Bundesrath stehn und mithin auch Geschäfte des Bundes-
kanzlers ausserhalb des Bundesrathes, in seiner Stellung als
leitenden Ministers umfassen kann. Trotz dieser Scheidung
fuhr der a. 16 (jetzt 15) fort: „Derselbe“ (der Bundeskanzler)
„kann sich durch jedes andere Mitglied des Bundesrathes ver-
möge schriftlicher Substitution vertreten lassen.“ Und nun-
mehr war der Deutung Raum’ gegeben, dass sich die Sub-
stitutionsbefugniss des Reichskanzlers nicht nur beziehe auf
seine Befugnisse als des Präsidenten des Bundesrathes, sondern
auch auf den gesammten Geschäftskreis, der ihm als leitender
Minister zusteht.
Eine solche erweiterte Substitutionsbefugniss, wie sie
nach der Veränderung des a. 18 (jetzt 17) aus a. 16 (jetzt 15)
gedeutet werden konnte, trat freilich mit der Absicht und dem
Sinne, mit dem ganzen politischen Gehalte eben dieses Ar-
tikels 18 in seiner neuen Gestalt in entschiedenen Widerspruch.
Ein innerer Widerspruch war es, dass der Kaiser, dessen
verantwortlicher Berather und oberster Beamter der Reichs-
kanzler war, dessen Staatsakte nur durch Gegenzeichnung
desselben Rechtsgültigkeit empfingen, den Vertreter des Reichs-
kanzlers auch in diesen Funktionen nicht selbst ernennen
durfte. Mochte es Takt und Etikette erheischen, dass eine
solche Substitution nur im Einvernehmen mit dem Kaiser ge-
schah, sie erfolgte kraft eigenen verfassungsmässigen Rechtes
des Reichskanzlers, nicht kraft kaiserlichen Rechtes.
Ein Widerspruch war es, dass die Substitution zur Wahr-
nehmung kaiserlicher Rechte an irgend einen Bevollmächtigten
des Bundesrathes erfolgen konnte, dessen Instruktion ausser
jedem Zusammenhang mit der Person des Kaisers stand, ja
dessen Vollmacht und damit auch fernere Wahrnehmung der
Substitution von dem Belieben einer dritten Regierung abhing.
Es widersprach endlich die Substitution in solchem Um-
fange der Absicht, welche grundsätzlich der beschlossenen
Aenderung des a. 18 (jetzt 17) zu Grunde lag. Denn sie
Haenel Studien. H. 3