334 $ 22. Der Massstab der konstit. Verantwortlichkeit. [238
II. Der Inhalt oder der Gegenstand der konstitutio-
nellen Verantwortlichkeit, welche durch das Budgetgesetz seine
rechtliche Grundlage empfängt, ist ein doppelter.
1. Der Reichskanzler ist verpflichtet für jedes abgelau-
fene Etatjahr den Nachweis zu liefern, dass die Finanz-
verwaltung in Übereinstimmung mit dem Budget-
gesetz im Ganzen und in seinen einzelnen Positionen
geführt worden ist.
Wird dieser Nachweis erbracht, so entsteht dem Reichs-
kanzler das Recht und dem Bundesrathe und dem Reichs-
tage die Pflicht auf „Entlastung“, auf „Decharge“. Ins-
besondere haben die letztern keinerlei Recht, die Gesetzlich-
keit, Nothwendigkeit oder Nützlichkeit der Einnahmen und
Ausgaben nachträglich zu bestreiten, welche nach Vorschrift,
nach Buchstaben und Sinn des Budgetgesetzes bewirkt sind.
So wenig es ein freies Bewilligungs- oder Verwerfungsrecht
des Budgetgesetzes giebt, so wenig giebt es ein freies,
von dem rechtlichen Masstab des Budgetgesetzes los-
gelöstes Recht der Decharge.
Allerdings ist das Budgetgesetz nur Ein Massstab für
die Verantwortlichkeit der Finanzverwaltung. Auch hier tritt
die Bedeutung der anderweitigen, auf die Finanzverwaltung
bezüglichen Gesetze, „Vorschriften und Verwaltungsgrundsätze“
neben dem Budgetgesetz zu Tage. Und zwar ist ihre Be-
deutung eine doppelte.
Die anderweitigen Gesetze, „Vorschriften und Verwal-
tungsgrundsätze“, können nach Lage des Falles den Sinn und
die Bedeutung der Budgetbewilligungen präzisiren; sie können
die Voraussetzungen darstellen, unter welchen die budget-
mässigen Feststellungen von Einnahmen oder Ausgaben in
übereinstimmender und genügend erklärter Auffassung der ge-
setzgebenden Körperschaften geschehn sind. Alsdann ist jede
Abweichung von denselben zugleich Abweichung von den zu-
treffenden Positionen des Budgetgesetzes, gleichgültig ob sich
dieselbe in Ziffern ausdrückt oder nicht.