Die Substitutionsbefugniss des Reichskanzlers. 35
kennung der ganzen historischen Entwickeluug, der politischen
Bedeutung und Absicht des Gesetzes, wenn man annimmt,
dass neben dem Gesetze über die Stellvertretung, auch noch
die Substitutionsbefugniss aus a. 15 der Verfassung für den
ministeriellen Geschäftskreis des Reichskanzlers Anwendung
finden könne. Dem a. 15 ist vielmehr durch jenes Gesetz
die Bedeutung definitiv zuerkannt, die er ursprünglich zwei-
fellos allein besass und die er nach einer wohl begründeten
Meinung niemals verloren hat, wenn sie auch durch den Be-
schluss zu a. 18 verdunkelt wurde. Er bezieht sich ausschliess-
lich und allein auf die Substitution des Reichskanzlers im
Präsidium des Bundesrathes.
! Vergl. die beiden Aufsätze von M. Joel, Hirth’s Annalen, 1878,
pag. 402 ff. und 761ffl. Der erste übersieht den Kernpunkt der histo-
rischen Entwickelung, die in der grundsätzlichen Aenderung der Orga-
nisation des Verfassungsentwurfes durch den Beschluss des Reichstages
zu a. 18 (17) liegt; der zweite kann sich für die behauptete Fortdauer
der Substitutionsbefugniss nur ganz missverständlich auf die Aeusserung
des bayrischen Bevollmächtigten — Sten. Ber. 1878, pag. 420 — be-
ziehen. Deutlicher noch, als aus den Motiven zum Gesetzentwurf, geht
die Absicht, gerade den Streit aus a. 15 durch das Gesetz zu besei-
tigen, aus den Aeusserungen des Reichskanzlers pag. 343 hervor.
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