251] $ 23. Die Budgetlosigkeit. 347
tens also ein Zufall vorliegt. Es mag sein, dass der Reichstag
das Budgetgesetz überhaupt ablehnt oder dass seine rechts-
widrigen Verweigerungen einzelner Bewilligungen dem Bun-
desrathe ein Recht der Verwerfung geben oder dass der
Bundesrath durch rechtswidrigen Beschluss seine Zustimmung
zu dem vom Reichstage rechtmässig amendirten Budgetgesetz
verweigert. Es mag sein, dass dieser Thatbestand ein das
Etatjahr hindurch dauernder oder nur ein zeitweiliger der
Budgetverspätung ist.
Für einen solchen Zustand der Budgetlosigkeit unter-
nimmt es Laband — Staatsrecht III, 2, pag. 367 fi.; Budget-
recht pag. 75 fl. — Rechtsregeln aufzustellen, welche eine
rechtmässige Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben des
Reiches der Vorschrift der Verfassung zum Trotz ermöglichen
sollen. Er formulirt dies in dem Grundsatze:
„Diejenigen Ausgaben, welche staatsrechtlich nothwendig
sind d. h. nach Art und Mass ihren zureichenden Rechtsgrund
in den dauernden, neben dem Etat hergehenden Gesetzen
finden, können und müssen von der Staatsregierung von Rechts
wegen auch ohne Budgetgesetz mittels der ihr kraft Gesetzes
zufliessenden Einnahmen geleistet werden.“
Es ist dies lediglich eine abstrakte Theorie, die auf einem
fingirten, praktisch unmöglichen Thatbestand sich aufbaut.
Für die Finanzverwaltung ist die Scheidung zwischen den
staatsrechtlich nothwendigen und den rechtlich ungebundenen
Ausgaben ohne ausreichenden Belang. Die Ausgaben jedes
grössern Staatswesens bilden ein so dichtes und unauflösliches
Gefüge, in dem sich alle Einzelheiten so sehr gegenseitig
tragen und bedingen, dass der Versuch einer Scheidung nach
jenen beiden Kategorien für den geordneten Gang des Finanz-
dienstes, für die dringendsten und unabweisbarsten Bedürf-
nisse der Staatsverwaltung unthunlich und unmöglich ist. Der
Versuch würde bereits scheitern an der freien Schätzung des
Bedarfes an Federn, Tinte und Papier für die gesetzlichsten
aller gesetzlichen Behörden, vorausgesetzt dass der Begriff der
staatsrechtlichen Nothwendigkeit nicht so weit verflüchtigt