Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Zweiter Band. (2)

52 Gesetzgebung ‘und vollziehende Gewalt. 
stimmigkeit, welches die deutsche Bundesakte für die Bundes- 
versammlung in charakteristischer Weise aufstellte. Aber der 
erste Satz: „Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den 
Bundesrath und den Reichstag“ schliesst in seiner strikten 
Fassung den Kaiser als selbständigen Faktor der Gesetz- 
gebung aus. Und man wird dem mit nur wenig überzeu- 
gender Kraft die Auffassung entgegenhalten' können, dass diese 
Bestimmungen unbeschadet der verfassungsmässigen Stellung 
des Kaisers zu den „beiden Versammlungen“ getroffen und 
dass mithin die weiteren Bestimmungen über die kaiserlichen 
Rechte gleichwerthige Zusätze seien, welche die ersteren er- 
gänzen und modifiziren. 
Sodann legt die neue Fassung des Artikel 7 durch die 
Reichsverfassung unter 1.) dem Bundesrathe schlechthin 
das Recht bei, über alle von dem Reichstage gefassten Be- 
schlüsse zu beschliessen. Ein solcher Beschluss des Bundes- 
rathes ist hiernach auch dann erforderlich, wenn eine Vorlage 
desselben von dem Reichstage unverändert angenommen wurde. 
Der Kaiser ist niemals berechtigt, unmittelbar auf Grund des 
Beschlusses des Reichstages ein Gesetz auszufertigen und zu 
verkündigen, sondern immer nur auf Grund eines Beschlusses 
des Bundesrathes.2 Eine solche Rechtstellung des Bundes- 
rathes lässt aber keine andere Deutung zu, als dass ihm selbst 
das Recht der materiellen Sanktion zusteht. Die Annahme, 
dass über diesem Rechte des Bundesrathes ein weiteres Recht 
des Kaisers auf ein materielles Veto stehe, kann aus dem 
1 Es ist bemerkenswerth, dass der a. 7 Nr. 1 als allgemeine 
Klausel der norddeutschen Verfassung fehlte. In dieser war die ent- 
sprechende Klausel im Art. 37 auf Zoll- und Steuergesetze beschränkt. 
Für alle anderen Gesetze bestand kein verfassungsmässiges Hinderniss, 
um vom Reichstage unverändert angenommene Gesetze sofort dem 
Kaiser zu unterbreiten. Damit gewann die im Artikel 5 statuirte 
volle Gleichberechtigung zwischen Bundesrath und Reichstag volle 
Wahrheit und das Ausfertigungsrecht des Kaisers eine gewichtigere 
Bedeutung. Auch hier hat eine scheinbare Fassungsänderung eine 
Verschiebung in der Stellung der an der Gesetzgebung betheiligten 
Faktoren herbeigeführt, und zwar zum Abbruch des Kaisers.
	        
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