Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Zweiter Band. (2)

Gesetzgebung und vollziehende Gewalt. 53 
kaiserlichen Rechte der Ausfertigung und Verkündigung eine 
zureichende Rechtfertigung nicht finden. 
Mit allen diesen Einwänden bleibt es aber gewiss, dass, 
wenn man sich berechtigt hält, trotz der Bestimmungen des 
Artikel 5 auf Grund des Artikel 16 ein vorausgenommenes 
Veto des Kaisers in den Gang der Gesetzgebung einzuschieben, 
dem Rechte, trotz jener Bestimmungen auf Grund des Artikel 17 
ein endgültiges Veto des Kaisers anzunehmen, ein grösseres 
Hinderniss nicht entgegensteht. Dann freilich wird sich die 
Frage erheben, ob es sich nicht empfiehlt, jenes vorausge- 
nommene Veto des Artikel 16 fallen zu lassen, die Einbrin- 
gung der Gesetzentwürfe des Bundesrathes bei dem Reichstage 
auf eine formale Befugniss des Bundesrathspräsidiums zurück- 
zuführen und dem Veto, der Sanktion des Kaisers, in Ueber- 
einstimmung mit dem gemeingültigen konstitutionellen Muster, 
seinen normalen Platz am Schlusse des gesetzgeberischen 
Prozesses anzuweisen. 
Doch alle diese Erwägungen sind noch verfrüht. Jener 
Vorgang, an den sich dieselben anknüpften, kann nicht die 
Bedeutung der abschliessenden Lösung einer schwerwiegenden 
Verfassungsfrage, nicht die Bedeutung einer authentischen 
Verfassungsinterpretation in der Form gewohnbheitsrechtlicher 
Bildung für sich in Anspruch nehmen. Der Bundesrath hat 
sich nach dem Erlass der kaiserlichen Kabinetsordre vom 
8. April auf Antrag Bayerns beeilt die Berathung über den 
Gesetzentwurf betreffend die Reichsstempelabgaben wieder auf- 
zunehmen; er beschloss am 12. April den streitigen Punkt der 
Steuerfreiheit der Quittungen über Postanweisungen und Post- 
vorschusssendungen im Sinne des Reichskanzlers abzuändern. 
Damit hat der Bundesrath durch ein ausserordentliches Ver- 
fahren die Erörterung der verfassungsrechtlichen Frage um- 
gangen. Aber immerhin bleibt die am 8. April veröffentlichte 
Kabinetsordre des Kaisers, die die Weigerung des Reichs- 
kanzlers, einen rechtsgültig! beschlossenen Gesetzentwurf des 
ı Die formelle Gültigkeit des Bundesrathsbeschlusses vom 3. April 
ist nirgends ernsthaft bestritten worden. Mochte auch der Umstand,
	        
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